Österreich steuert auf vorzeitige Neuwahlen zu, orakeln zahlreiche politische Auguren, darunter auch der Bundespräsident, dem das gemeinsame Abendessen mit Kanzler und Vizekanzler offenbar das Vertrauen in die Überlebenskraft dieser großen Koalition geraubt hat. Neuwahlen seien unwahrscheinlich, sagen andere; sie würden an der politischen Grundkonstellation nichts ändern und erneut eine große Koalition erzwingen. Die Regierung werde weitermachen wie bisher – und das bedeutet: weiterwursteln.

Tatsache ist, dass diese Republik seit dem Wahlsonntag vor eineinhalb Jahren keine handlungsfähige Regierung hat und auch in absehbarer Zeit keine haben wird. Was immer man von der Regierung Schüssel halten mag: Zumindest wurden in ihren sieben Jahren Entscheidungen getroffen und Reformen durchgezogen, vor allem in der Wirtschaftspolitik. Unter dem Gespann Gusenbauer/Molterer werden bloß Wünsche und Forderungen verschiedener Bevölkerungsgruppen mit viel Geld erfüllt. Maßnahmen, die kurzfristig Schmerzen verursachen, aber langfristig den Standort stärken, sind weder geschehen noch geplant.

Allerdings waren die vergangenen 18 Monate auch die wirtschaftlich erfolgreichsten, die Österreich seit langem erlebt hat. Wachstum, Beschäftigung, Exporte, selbst die Inflationsrate – in allen wichtigen Kategorien weist das Land Wirtschaftswunderwerte vor. Und auch die Zukunft schaut trotz der internationalen Bankenkrise noch immer relativ rosig aus.

Kann sich das Land also eine dysfunktionale Politik auf längere Sicht leisten? Kann sich die Wirtschaft von der Politik abkoppeln und unter dem Schirm eines funktionierenden europäischen Binnenmarkts Jobs und Volkseinkommen produzieren, auch wenn das Kabinett streitet und das Parlament untätig herumsitzt?

Wer hier eine Antwort sucht, wird sie früher oder später in Italien finden. Jahrzehntelang wurde die Politik in Rom belächelt, und die Unternehmen im Norden wurden bewundert. Italien war das Land, das auch ohne effektive Regierung funktionierte.

Die einstige Bewunderung ist längst verflogen. Die italienische Wirtschaft leidet seit Jahren unter exorbitanten Defiziten, niedrigem Wachstum und schwachem Produktivitätsanstieg. Schuld daran tragen auch ein wenig die mittelständischen Unternehmen, die zu spät auf die Globalisierung und die Konkurrenz aus China reagiert haben. Italiens Misere wurde aber hauptsächlich von der Politik geschaffen: Jahrelang wurden Reformen verschleppt, öffentliche Ausgaben an den falschen Stellen gekürzt. Der schwerfällige Staatsapparat hängt wie ein Mühlstein am agilen Unternehmertum. Es hat einige Jahrzehnte gedauert, aber schließlich hat die politische Dauerkrise eine der stärksten Wirtschaftsregionen der Welt in den Abgrund gezogen.

Noch ist es in Österreich nicht so weit, aber die ersten Anzeichen für eine Austro-Sklerose sind bereits zu erkennen. In der Debatte über die Steuerreform zeichnet sich keine nachhaltige Senkung der viel zu hohen Abgabenlast ab. Schuld daran trägt die fehlende Ausgabendisziplin, vor allem in den Bundesländern. Dort wird das Geld vergeudet, das Unternehmen und Bürger dem Fiskus abliefern.

Was Österreich daher am meisten braucht, ist eine Bundesstaatsreform. Doch daran ist jede Regierung bisher gescheitert – und die jetzige hat es gar nicht erst versucht.

Wie der Zustand eines Hauses, das nicht erhalten wird, geht die Wirtschaftskraft eines Landes langsam, fast unmerklich verloren. Nach und nach sinken die Investitionen und steigt die Verschuldung;_dann lässt das Wachstum nach.

Der Preis für die derzeitige politische Lähmung wird erst in späteren Jahren fällig werden. Aber umso dringlicher ist die Suche nach einem Ausweg, der sich nicht im Parteiengeplänkel erschöpft.

Ein Wechsel der handelnden Personen, ein Wandel der politischen Kultur, vielleicht eine Wahlrechtsreform – etwas muss geschehen, damit es so nicht weitergeht. (Eric Frey/DER STANDARD, Printausgabe, 13.3.2008)