"Vor allen Taten steht und stand, damals wie heute, das Wort. Wir müssen uns alle eingestehen, dass wir in den letzten Monaten nicht eben sorgsam damit umgegangen sind. Auch wenn wir in Rechnung stellen, dass in der Hitze des tagespolitischen Geschäftes vorschnell ausgesprochen wird, was besser etwas länger bedacht worden wäre, sollten wir in dieser Beziehung wieder strenger zu uns selbst werden.

Wir sehen gerade an den dunklen Phasen der Geschichte, wohin die Verrohung der Sprache, die im politischen Diskurs gepflegt wird, führen kann. Wir alle sollten uns diesbezüglich wieder etwas zurücknehmen, denn jede weitere Verschärfung der Tonart beschädigt die Glaubwürdigkeit und beschädigt das Anliegen, mit dessen bestmöglicher Verwaltung die Bürger uns betraut haben.

Unsere hochentwickelte Mediengesellschaft neigt dazu, komplexe Sachverhalte der eingängigen Vermittlung wegen in simplen Schwarz-Weiß-Schemata abzubilden. Wir sollten dieser Neigung nicht immer nachgeben und wieder mehr Mut zur nuancierten Darstellung finden, auch wenn dann die Botschaft vielleicht etwas länger braucht, um den Empfänger zu erreichen.

Im Sport hat der Zweikampf, die Auseinandersetzung zur Ermittlung eines Siegers und eines Besiegten, sinnstiftenden Stellenwert. In der Politik sollte er es abseits der Wahlkämpfe nicht haben, und es wäre ein Irrtum zu glauben, dass sich die Öffentlichkeit an politischen Zweikämpfen anhaltend ergötzt. Selbst wenn die Dramaturgen der veröffentlichten Meinung solche Inszenierungen als integralen Bestandteil ihrer Programme auffassen, sollte die Politik der Versuchung widerstehen, permanent darin mitspielen zu wollen. Nichts ermüdet die Zuseher mehr als die Wiederholung des Immergleichen. Die Bevölkerung erwartet von uns nachvollziehbare Arbeit und keine fruchtlosen Streitereien.

Wenn wir aus unserer gesicherten Position eines intakten demokratischen Gemeinwesens auf die Jahre vor und nach jenem 12. März 1938 blicken, so sollten wir uns nicht nur fragen, wie es zur Okkupation Österreichs und allen nachfolgenden Ereignissen kommen konnte. Wir sollten uns auch fragen, welche Relevanz die gesellschaftlichen Phänomene, die damals die Menschen bewegten, für uns heute haben.

Toleranzverlust

Daher fällt ein sukzessiver wachsender Toleranzverlust auf, der den Erosionsprozess der Ersten Republik zusätzlich beschleunigte. In seiner übelsten Form äußerte sich dieser Verlust im rabiaten, stark zunehmenden Antisemitismus.

Ich warne an diesem besonderen Tag ausdrücklich vor einer Entwicklung, die solchen überwunden geglaubten Tendenzen Vorschub leistet. Sie können nur hintangehalten werden, wenn wir für alle Bewohner unseres Landes Rahmenbedingungen schaffen, die ihnen nicht nur das Auskommen, sondern ein Dasein in Würde ermöglichen. (...)

Wir müssen darauf achten, dass die soziale Balance, die unser Land über Jahrzehnte ausgezeichnet hat, nicht ins Schwanken gerät, und gezielt jenen unter die Arme greifen, die an die Grenzen ihrer finanziellen Möglichkeiten gelangt sind." (DER STANDARD, Printausgabe, 13.3.2008)