Wien - Beziehungen sollte man in Österreich niemals unterschätzen. Es war im Jahre 1980, und Rapid Wien war schon damals der populärste Klub. Der Vizepräsident hieß Heinz Holzbach, der Präsident Anton Benya, im Hauptberuf Boss des österreichischen Gewerkschaftbundes. Er galt als Mitbegründer der Sozialpartnerschaft, die das Land prägte. Holzbach hatte einen Freund (in Wien "Haberer"), der jobbte als Sportchef der Volksstimme, des Zentralorgans der kommunistischen Partei Österreichs. Der Freund war Rapid-Fan, was journalistisch zwar nicht einwandfrei war, aber er musste ja dem Arbeiterklub zugetan sein.

Holzbach sagte zum Haberer: "Es wäre doch eine gute Idee, einen Russen zu holen." Der Sportchef wurde blass und ging ans Werk. Wohlwissend, dass sich der eiserne Vorhang nicht wirklich durchdringen ließ. Aber die Mühlen mahlten dann doch. Das Sportministerium der Sowjetunion befasste sich mit der Causa, einen Superstar wollte man dem kapitalistischen Westen nicht schenken. Von wegen Vorbildwirkung. Sie bestimmten Anatoli Sintschenko aus dem damaligen Leningrad, er war 31 Jahre alt.

Schönes Obst

Man ließ ihn ziehen, obwohl Sintschenko eigentlich gar nicht wusste, warum überhaupt und warum ausgerechnet er. Freilich wurde er nicht als Fußballer geschickt, man gab ihm die Berufsbezeichnung "Techniker". Die Gage übernahm die russische Handelsdelegation. Franz Binder, damals Sekretär von Rapid, erinnert sich: "Wir mussten ihm nur die Wohnung zur Verfügung stellen. Ein lieber und bescheidener Kerl, er sah aus wie ein Schwede. Zum Training ist er zu Fuß gegangen. Es war historisch, erstmals wechselte ein Fußballer aus der Sowjetunion ins Ausland."

Sintschenko durfte von seiner Frau besucht werden, das Kind musste in der UdSSR bleiben. Binder: "Sie war völlig fertig, als sie das Obst im Supermarkt gesehen hat." Er entwickelte sich zu einer Stütze im Mittelfeld, Rapid wurde Meister. Das lag natürlich auch an Spielern wie Hans Krankl, Antonin Panenka oder Josef Hickersberger. Nach zwei Jahren kehrte Sintschenko heim. Binder. "Wir zahlten ihm freiwillig Prämien. Er kaufte sich in Wien noch ein Auto. Einen Wolga, da hatte er Chancen auf Ersatzteile."

Sintschenko hat also den Vorhang zwar nicht geöffnet, aber doch gelüftet. 1989 durfte der berühmte Oleg Blochin raus. Er landete nicht in Barcelona, sondern bei Vorwärts Steyr in Oberösterreich. Der Klub ist längst Legende - und Blochin Ukrainer. (Christian Hackl, DER STANDARD, Printausgabe, Freitag, 14. März 2008)