Alan Weisman: "Die Welt ohne uns. Reise über eine unbevölkerte Erde", 384 Seiten, € 19,90, Piper 2007.

Coverfoto: Piper

"Die Weisman-Idee" hieß passenderweise ein Science Fiction-Roman des vorigen Jahrtausends, und im neuen Millennium hört sich diese Idee so an: "Lassen wir uns also auf ein kreatives Experiment ein: Nehmen wir an, der schlimmste Fall sei eingetreten. Die Vernichtung der Menschheit wäre eine vollendete Tatsache. (...) Lassen Sie alles, wie es ist, aber nehmen Sie die Menschen aus diesem Bild heraus. Löschen Sie uns einfach aus. Was bleibt? Wie würde die Natur reagieren, wenn sie plötzlich vom Einfluss der Menschen befreit wäre?"

... eine unausgesprochene Apokalypse, die Tiere, Pflanzen, Pilze und Mikroben ungeschoren davonkommen lässt: in dieser "puren" Form nicht wirklich vorstellbar, selbst im Falle einer globalen Seuche, die uns bis auf den letzten Mann und die letzte Frau hinwegrafft. Doch anders würde das Gedankenspiel des US-Journalisten Alan Weisman, das erst Grundlage eines Artikels und schließlich zum Ausgangspunkt eines seit dem Ersterscheinen 2007 wiederholt neuaufgelegten Bestsellers wurde, nicht funktionieren.

Die Zukunft der Gegenwart

Die erste Überraschung dürften LeserInnen, die sich eine Art spekulativer Chronologie der Zukunft erwarten, erleben: Eine solche finden sie nur in tabellarischer Form auf den Umschlaginnenseiten, beginnend 2 Tage nach dem Verschwinden der Menschen (New Yorks U-Bahn wird nach dem Stopp des Pumpen-Dauerbetriebs überflutet), endend mehrere Milliarden Jahre in der Zukunft (unsere Radiowellen breiten sich weiterhin im All aus). Das Buch selbst ist diachronisch angelegt, bleibt hauptsächlich in der Gegenwart und verlässt unsere Zeitebene weit öfter Richtung Vergangenheit als in die Zukunft.

Doch das hat seinen Grund: Weisman legt ein globales ökologisches Mosaik aus, um zu zeigen, wie nachhaltig die Menschheit die Erde bereits verändert hat und was für unauslöschliche Spuren wir hinterlassen werden. - Er reiste dafür über alle Kontinente und Meere und interviewte ExpertInnen von der Biologie bis zur Archäologie. Einige der Schauplätze muten wie von AutorInnen ersonnene Dystopien an: Etwa der Texas Petroleum Patch, der gigantische Petrochemie-Cluster um Houston, oder die Waste Isolation Pilot Plant (WIPP) in New Mexico, auf deren Gelände Granitmonumente und im Boden vergrabene Tonscheiben für die nächsten 10.000 Jahre vor eingelagertem Atommüll warnen sollen: multilingual, um hoffentlich auch von den SprecherInnen zukünftiger Sprachen verstanden zu werden. Gruselig auch das Kapitel über den "Great Pacific Garbage Patch", die im Nordpazifikwirbel rotierende lose Ansammlung von Kunststoffteilchen unterschiedlichster Herkunft, die inzwischen quasi-kontinentale Ausmaße erreicht hat.

Stärken und Schwächen

Die LeserInnen von "Die Welt ohne uns" müssen geistig gut zu Fuß sein, denn sie werden kapitelweise von einem Schauplatz zum nächsten katapultiert: vom Grüngürtel der innerzypriotischen Grenze ins erdbebengefährdete Istanbul, von den Wäldern Neuenglands zum Panamakanal und nach Tschernobyl, wo die Natur heute schon im Kleinen die Rückeroberung ehemals von Menschen besiedelter Gebiete proben kann. Das mag sprunghaft erscheinen - anders ist einem derart komplexen Thema, wie es sich Weisman vorgenommen hat, allerdings auch nicht beizukommen. Und zwischendurch geht's auch mehrfach in die Vergangenheit, etwa zur Ausrottung der eiszeitlichen Megafauna Nordamerikas oder dem Verschwinden der Maya: Denn großmaßstäblichen Einfluss auf seine Umwelt hat der Mensch nicht erst seit dem Industriezeitalter ausgeübt.

Weismans Stärke ist es, den Fokus auf immer neue Aspekte des großen Gesamtbildes zu richten; speziell diejenigen, die mit einem der behandelten Themen in Erstkontakt treten, werden unerbittlich zum Nachdenken angeregt. Zwangsläufig bleibt aber auch so einiges an der Oberfläche. Zwar lässt Weisman in einem ausführlichen Danksagungsteil die ExpertInnen der jeweiligen Themenkapitel Revue passieren - bei vielen Aussagen hätte man sich aber Fußnoten gewünscht, um sie einer eindeutigen Quelle zuordnen und gegebenenfalls nachprüfen zu können. So muss man es eben einfach hinnehmen, dass in ein paar hundert Jahren alle Haustiere mit Ausnahme der Katzen ausgestorben sein werden und Ratten und Kakerlaken nicht überleben werden, wenn wir sie nicht mehr mit Müll und beheizten Häusern versorgen.

Auch das Gegenüberstellen verschiedener wissenschaftlicher Theorien zu ein und demselben Phänomen ist nicht unbedingt Weismans Sache: Warum das Zebra Streifen hat oder was die Maya-Kultur in den Untergang getrieben hat - Weisman präsentiert mangels Alternativen jeweils nur eine Sichtweise als "Wahrheit", wo Fachleute in Wirklichkeit noch diskutieren. Und dass die vom Menschen vorangetriebene Klimaerwärmung "die Erde in eine zweite Venus verwandeln" könnte, ist selbst im aufgeheiztesten aller Klima-Diskurse noch wenigen eingefallen.

Alles besser ohne uns?

Geht man noch eine Ebene tiefer, kommt man zur Grundausrichtung des Buches - und die ist erstaunlich ambivalent. Weisman führt zwar den Biologen Peter Ward als eine seiner Referenzen an, ignoriert aber dessen Anschauung, dass es nie mehr - egal durch welche Katastrophe - zu einem völligen Verschwinden der Menschheit kommen kann und wir bis ans Ende der Zeit der bestimmende Faktor der irdischen Ökologie bleiben werden. Seinerseits eine ausgesprochen diskussionswürdige These, die Ward in seinem Buch "Future Evolution" vertritt; allerdings ist sie als polemische Replik Wards auf Zukunftsszenarien zu verstehen, wie sie beispielsweise in der TV-Serie "Die Zukunft ist wild" ersonnen und per CGI massenpublikumstauglich umgesetzt wurden. Ward kritisiert nicht die mehr oder weniger plausiblen Gedankenspielereien über künftige Richtungen der Evolution, sondern die durchaus seltsame Freude, die es den SchöpferInnen dieser Konzepte und ihrem Publikum zu bereiten scheint, sich eine bukolische Welt ohne Menschen auszumalen.

Einiges von dieser autoaggressiven Lust an der "unbefleckten" Natur taucht auch in Weismans Formulierungen gelegentlich an die Oberfläche: Sind wir erst mal aus dem Bild genommen, "dann würde sich die Erde endlich von uns erholen". Fraglich, ob der ökologischen Botschaft des Buchs gedient ist, wenn ein Umdenken Richtung Umweltbewusstsein und Nachhaltigkeit zwar als Notwendigkeit gezeigt wird - der Idealfall aber eigentlich unser sanfter Massentod wäre. Oder fühlt sich davon jemand zu ökologischem Verantwortungsbewusstsein motiviert? Auf zwei Extrembeispiele in diese Richtung - das Voluntary Human Extinction Movement und die Church of Euthanasia - wird in einem eigenen Kapitel eingegangen.

Was bleibt

Spurlos verschwinden werden wir ohnehin nicht, zumindest das ist sicher: Küchengeschirr aus Metall wird noch herumliegen, wenn die Küche selbst nebst dem sie umgebenden Haus längst zerfallen ist, Monumente wie der Eurotunnel unter dem Ärmelkanal könnten sogar ein paar Millionen Jahre überdauern. Dioxine und das Strahlenerbe der Atomindustrie wird die Erde wohl nie mehr wieder völlig los, doch werden neue Bodenschichten im Lauf der Zeit die Gifte gnädig überdecken. Und selbst wenn unser Heimatplanet einmal von der Sonne verschlungen wird, werden sich immer noch Fragmente der Rundfunksendungen, die wir seit dem vorigen Jahrhundert ausstrahlen, im Kosmos ausbreiten.

Und das ist dann der Apokalypse letzter Akt: Ratten und Kakerlaken werden uns bald ins Grab folgen, aber "Reich und Schön" währet ewig. Als hätten wir's nicht geahnt. (Josefson)