St. Pölten – Man begegnet Tschechow-Unternehmungen an Stadttheatern gerne und oft zu Recht mit Skepsis. Denn für Dramen, die jenseits von Handlung und Geschehen angesiedelt sind, in einem Stillstandsbezirk, wo die Zeit reglos auf Garderobenhaken hängt, dafür benötigt man die allergrößten atmosphärischen Denker. Die weitläufigsten Räume. Und Schauspieler, die aus bloßen Sätzen und aus Pausen größtmögliche Stimmung herauszulösen wissen. Das alles hat man nicht immer, zum Beispiel nicht in St. Pölten. Das 366 Plätze zählende Landestheater Niederösterreich ist in der Ära Isabella Suppanz‘ nicht nur zu einer neuen Adresse prominenter Gastproduktionen von Ben Becker bis René Pollesch (16./17. Mai) avanciert, sondern versteht es auch, heimische Stars von Wiener Bühnen zugpferdartig zu entlehnen.

Dass die einzigartige Anne Bennent jemals als Gutsbesitzerin Ranevskaja in Tschechows Kirschgarten in St. Pölten anzutreffen sein würde, war jedenfalls nicht abzusehen. Jetzt aber! Regie führte Jewgenij Sitochin, und neben Burgmime Michael Masula als Abholzer Lopachin ist Bennent die traumwandelnd spendierfreudige Lebefrau, die kraft ihrer robusten Melancholie alle übrigen gauklerhaft interpretierten Tschechow-Gestalten (Karl Ferdinand Kratzl, Christine Jirku, Helmut Wiesinger u.a. ) munter nachzieht.

Klar, die Ranevskaja sitzt ein wenig eng auf Kartonschachteln, und die Märzenbecher sind auch nur aus Plastik. Doch gleich hinter den zersägten (!) Zimmerwänden (Bühne: Ralph Zeger) lauert doch manchmal überzeugend die ukrainische Pampa. (Margarete Affenzeller, DER STANDARD/Printausgabe, 14/15.02.2008)