Der Giftanschlag auf den Bürgermeister hat Spitz und die gesamte Wachau abrupt aus dem Winterschlaf gerissen

Foto: STANDARD/Robert Newald
Spitz - Eiskalt pfeift der Wind durch die schmalen Gassen von Spitz an der Donau. Kaum wer, der sich länger als nötig dem widrigen Wetter aussetzt. Beliebter "Unterschlupf" ist an solchen Tagen das Café Bruckner in der Spitzer Hauptstraße. "Seid's nicht fade, nehmt's a Roulade"- mit diesen Worten empfängt der Besitzer Martin Bruckner die Besucher in der Tür seines Lokals. Drinnen bietet er feil, was das Kuchenbuffet so hergibt.

"Die Zeit jetzt gehört uns, ab Ostern geht der Wirbel eh wieder los." Der ältere Herr am Stehtisch schlürft seinen Kaffee. "Na ja, Wirbel, samma doch froh, wenn sich was tut", wirft Bruckner schnell ein. Nach außen ist alles wie immer im Winter: malerische Häuserfronten, braune Weinberge, geschlossene Heurigenlokale, einsame Gassen - die Tourismusbühne Wachau hat ihre Spielsaison noch nicht eröffnet.

Nackt auf der Straße

Dennoch ist heuer vieles anders: "Der Giftanschlag auf unseren Bürgermeister hat uns viel früher aus dem wohlverdienten Winterschlaf gerissen. Normal kannst um diese Jahreszeit ab sechs Uhr abends nackert durch Spitz laufen, und keiner merkt des", erzählt eine junge Frau. Außerdem scheint es auch noch andere Probleme zu geben. "Die Marillenblüte wird heuer wieder zu früh sein. Weil's schon so warm war", sagt ein Pensionist.

Was einen typischen Wachauer ausmache? Solche Fragen packt Martin Bruckner mit Schmäh: "Die erhöhten Leberwerte." "Kein Witz", bringt sich der Pensionist wieder ins Spiel. "I wor im Krankenhaus. Der Arzt hat g'merkt, dass i aus der Wachau kumm, und scho bist a Tschecharant. Obwohl i gor nix sauf."

"Nazis gibt's bei uns net"

Inzwischen haben erste Sonnenstrahlen das rund 36 Kilometer lange Donautal erfasst, es glänzt fast wie im Sommer. Doch was fehlt, sind die Touristen. Auch in Weißenkirchen. "Man darf sich nicht wundern. Hat ja alles zu: die Heurigen, die Gasthäuser", seufzt "Kirchenwirtin" Martha Köck. "So ein Promi wie der Karl-Heinz Grasser wäre halt gut. Der hat seine Fiona bei uns geheiratet", schwärmt die Kirchenwirtin. Noch heute pilgerten scharenweise Menschen zu dem "Hochzeits-Marterl". Besonders ärgerlich findet die Wirtin dagegen jene, die "braune Flecken" in der Wachau ausmachen wollen. "Nazis gibt's bei uns net", stellt Köck klar. Und die Anfang der 90er-Jahre aktive "Kameradschaft Krems-Land" oder die "Kameradschaft Langenlois", einschlägig bekannt als "neonazistisch" im Handbuch des Rechtsextremismus? Das habe nichts mit der Wachau zu tun, sagt die Wirtin knapp: "Langenlois ist dreißig Kilometer weit weg."

Der Soziologe Roland Girtler sieht vier Wachau-Typen. "Den Einfachen: offen, freundlich, ein Heurigen-Sitzer." Das Gegenteil sei der "noble Kremser - ein Städter mit Händlerkultur", so Girtler. Nicht vergessen dürfe man den Wanderer. "Also die, die täglich nach Wien pendeln". Wachauer Spezies Nummer vier sei der "Gefängniswärter-Typ". Girtler: "Stein ist einer der größten Arbeitgeber in der Wachau."

Historisch gesehen seien die Wachauer "immer harmlos" gewesen. Ein gewisser Neidfaktor, vor allem rund um Grund und Boden, sei "typisch für alle ländlichen Dörfer", weiß Girtler. Bösewichte gebe es überall, "und Giftanschläge sogar innerhalb der Familie". (Markus Rohrhofer, DER STANDARD Printausgabe, 15./16.3.2008)