... und protestierte gegen Stéphane Braunschweigs Inszenierung.

Salzburg – Die Eisen, die Richard Wagner in seinem musikdramatischen Werk anfasst, sind, wie man sieht, zum Teil auch heute noch ganz heiß. So hat das deutsche Bundesverfassungsgericht erst vor wenigen Tagen aus gegebenem Anlass entschieden, dass der Inzest, der in der "Walküre" ja den Ursprung aller sich in der Folge ergebenden Kalamitäten darstellt, nach wie vor strafbar bleibt.

So wie sich diese verbotene Neigung zwischen den Zwillingsgeschwistern Sieglinde und Siegmund auf der Bühne des Großen Festspielhauses in Salzburg darstellt, bleibt sie allerdings ziemlich unglaubwürdig. Denn niemand versteht, dass die Gemahlin eines eigentlich sehr kultivierten schlanken Herrn mit guten Manieren und noch besserer Stimme, als der sich Hunding in Mikhail Petrenkos Darstellung in dieser Aufführung erweist, mit Siegmund, einem grobschlächtigen Eindringling, der auch so ungepflegt singt, wie Robert Gambill in dieser Partie aussehen muss, durchbrennen und sich auch noch schwängern lassen möchte. All diese an und für sich ja logischen, wenn auch bei einer Opernpremiere nicht eben vorrangigen Überlegungen stürmen auf den Betrachter der zum Auftakt der Osterfestspiele mit dem Festival in Aix-en-Provence koproduzierten Walküre deshalb mit solcher Heftigkeit ein, weil das, was immer noch die Oper ausmacht, die Musik nämlich, von einer den Fährnissen des Zufalls ausgelieferten Anfälligkeit ist. Gemeint ist da vor allem das tönende Fundament, für das die Berliner Philharmoniker unter Sir Simon Rattle, ihrem Chef, zu sorgen gehabt hätten.

Wenn ein Österreicher sagt, die Berliner Philharmoniker seien eben kein Opernorchester, so läuft er natürlich Gefahr, als Parteigänger der Wiener Philharmoniker zu gelten. Und wenn er dann auch noch sagt, dass Sir Simon Rattle mit den Sängern einfach nicht mitatmet und sein Orchester nicht einmal wie eine Präzisionsmaschine einsetzt, dann heißt es wieder, man stimmt in den Chor derjenigen ein, die den zukünftigen Musikchef der Staatsoper schon zu Lebzeiten heiligsprechen wollen.

Gleich zu Beginn schon, wenn die tiefen Streicher recht bravourös in ihrer Quintolen-beunruhigten Hektik zu rumpeln beginnen: Wo bleibt der Funkenflug der Hörner und der Holzbläser? Wieso dominieren die Bässe auch weiterhin? Auf diese Weise könnte man die ganze dicke Partitur hinterfragen und konstatieren, dass sich sehr geglückte Passagen mit, vor allem für die Berliner überraschend, auch von den Blechbläsern beigesteuerten weniger oder gar nicht geglückten zu einem ziemlich dicht gemusterten Fleckerlteppich vermischen. Die kulinarischen Erwartungen, die das Orchester in seiner großen Steigerung bei "Wotans Abschied" zu bedienen hat, wurden zwar, was die dazu aufgewendeten Dezibel anbelangt, erfüllt. Der poetische Mix aus Abschiedsschmerz und in die Irre gehender Sehnsucht wurde allerdings nur annähernd getroffen.

Eine helle Bühne

Stéphane Braunschweigs Inszenierung und seine Bühnenbilder beschränken sich beinah minimalistisch auf das Wesentliche und stehen ganz im Gegensatz zu den von Thibault Vancraenenbroek entworfenen umständlichen, an luxuriöse Kutschermäntel erinnernden Kostümen. Alles, was man braucht, ist erkennbar: etwa die Esche mit dem Schwert. Es ist hell auf der Bühne. Wotan spielt mit Zinnsoldaten und kriecht vor Frickas Auftritt unter den Tisch. Allerdings ist er unvorsichtig genug und kommt zu früh aus seinem Versteck. Die Walküren schleppen irgendwelche Irakkrieger über die Treppen nach Walhall hinauf. Der wütende Wotan bettet Brünnhilde unbequem auf drei Chippendale-Sesseln. Der Feuerzauber wirkt wohl allzu armselig. So ist der Schluss also verschenkt. Bis dahin agiert allerdings eine Damenriege, die sich sehr gut hören lassen kann.

Eva-Maria Westbroek ist eine wahre Bilderbuch-Sieglinde, wie sie Hitler, von dem jetzt so viel die Rede ist, sie sich vorgestellt haben mochte: groß, blond, mit einer prachtvollen Stimme ausgestattet, die ihre manische Ekstase gut spürbar macht, gleichzeitig aber auch signalisiert, dass sie aufgrund ihres heroinenhaften Äußeren auch eine passable Brünnhilde wäre. Doch diese ist mit Eva Johansson bestens bei Stimme und in der Szene, in der sie von Wotan Abschied nimmt, dynamisch besonders flexibel und daher von besonders berührender Innigkeit.

Mit Lilli Paasikivi als frauliche und in ihrer keifenden Rechthaberei durchaus glaubwürdige Fricka gesellt sich zu den beiden erstgenannten Damen ein Mezzo, der ihnen durchaus ebenbürtig ist und gegen den Wotan alle Mühe hat aufzukommen. Sir William White, der mit seiner Gesichtsbemalung mehr wie ein Medizinmann aussieht und weniger wie ein nordischer Gott, gewinnt erst nach und nach stimmliche und atmosphärische Autorität. (Peter Vujica / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17.3.2008)