Politologen und Publizisten wollen demnächst eine "Initiative Mehrheitswahlrecht" starten. Einer der wichtigsten Gründe ist die Immobilität der großen Koalition. Auf den ersten Blick ist es verlockend, durch das Prinzip "The winner takes it all" klare Verhältnisse zu schaffen. Wer freilich das britische Wahlrecht auf Österreich übertragen will, führt eine neue, die "Dritte Republik" ein. Denn die daraus entstehende Dynamik erzeugt eine mindestens zehn Jahre dauernde Umwälzung auf fast allen Ebenen. Kriegten wir mehr Demokratie?

Das britische Wahlsystem eliminiert gleichzeitig alle kleinen Parteien. Das heißt, die Strache-FPÖ müsste in einem Wahlkreis die Mehrheit erhalten, um ins Parlament zu kommen. Im Fall eines Erfolgs der Blauen hätten wir irgendwo, vermutlich in Wien, einen dominant rechtsradikalen Bezirk. Da käme schon eher das BZÖ in die Volksvertretung. In Niederösterreich sind die Orangen fast verschwunden, in Kärnten würden sie wahrscheinlich mit Jörg Haider zwei oder drei Mandate lukrieren. Und die Grünen? Die würden mit viel Glück ein Mandat in Wien bekommen.

Selbst gemäßigte Varianten des Mehrheitswahlrechts sind maximal minderheitsschonend. Sie drängen Links und Rechts an den Rand - letztlich in eine außerparlamentarische Position. Die britische Politik-Kultur (Ausnahme Nordirland) kann nicht so einfach auf Mitteleuropa übertragen werden. Das ungarische Wahlrecht (nach französischem Vorbild) bietet noch zu wenig Horizont.

Wer glaubt, eine Einparteien-Regierung würde schlagartig höhere Effizienz bieten, ignoriert andere Faktoren. Zum Beispiel: die Tendenz, nach Umfragen zu regieren, und nicht nach Programmen. Die Macht der Landeshauptleute. Die Nebenregierung der Sozialpartner - was zu völlig neuen politischen Konfrontationen führen würde.

Die momentane Lähmung der Regierung ergibt sich nicht nur aus dem von den Wählerinnen und Wählern produzierten Patt zweier nahezu gleich starker Parteien. Sie hat neben der fast schon italienischen Neigung zum Dauerstreit eine weitere Ursache. In Österreich ist der Bundeskanzler nicht viel mehr als der Frühstücksdirektor seines Kabinetts. Alfred Gusenbauer hat, im Unterschied zu Angela Merkel, keine Richtlinienkompetenz.

Die hätte er de facto nur , wenn der Finanzminister ebenfalls der SPÖ angehörte. Tatsächlich sind in Österreich die Regierungsmitglieder mit "Ministerverantwortlichkeit" ausgestattet. ÖVP-Chef Wilhelm Molterer ist, weil er auf dem Geld sitzt, letztlich mächtiger als Gusenbauer. Daher keine großen Würfe, weil sie der eine dem anderen nicht gönnt.

Deshalb brauchen wir zunächst einmal gar kein anderes Wahlrecht (außer vielleicht eine Direktwahl in den Bundesrat). Die österreichische Spitzenpolitik sollte sich zu einer Stärkung des Kanzlers durchringen - seine Kompetenzen kann man sich von den Deutschen abschauen. Und sie eventuell ausbauen. Die Wahlkämpfe sind ohnehin so gestaltet, dass wir nur noch Personen und keine Parteien wählen.

In einem zweiten Schritt sollte endlich der Proporz in den Länderregierungen fallen - inklusive der "nicht amtsführenden" Stadträte in Wien. Eine versteckte Parteienfinanzierung, die gestoppt werden sollte.

Aber wir folgen halt dem österreichischen Grundsatz: Warum einfach? Wenn's kompliziert auch gehen könnte. (Gerfried Sperl/DER STANDARD, Printausgabe, 17.3.2008)