Windschiefe Verbogenheit mit allen Anlagen zum Widerstand: Verena Koch als Valérie.

Foto: Brachwitz

Linz - Man kann Ödön von Horváths unmanierliche Spießer - und Geschichten aus dem Wiener Wald ist voll von ihnen - dort abholen, wo der Dichter sie hingestellt hat: in der schönen Wachau, in der berühmten "stillen Straße" im achten Bezirk. Nur wird man ihren Ungeist niemals unter Berufung auf das "goldene Wienerherz" als lokale Prägung eines ansonsten global wirksamen Spießertums abtun können.

Die große Bühne des Linzer Landestheaters, auf der Gerhard Willert das Volksstück nun acht Tage nach Georg Schmiedleitner in Wien inszeniert hat, muss für das große Welttheater herhalten. Die schräggestellte, zum Orchestergraben hin abschüssige Bühnenfläche (Florian Parbs) ist ein Organisationsplatz für das große Sterben - zugleich liefert sie nur fahle Bildausschnitte. Willert zeigt Belichtungsstreifen: Albumblätter einer hässlichen, rundheraus für tot erklärten Welt, in der jedwede Form der Nostalgie nicht heimisch werden kann.

Vor die Wachauer Verschwörungszentrale der bösen "Großmütter" hat Willert sogar einen milchigen Vorhang gezogen. In der Luft, in der die Walzerklänge wie faulige Frühlingsboten hängen, herrscht ein böses, von Echos und Reverb-Effekten zerstörtes Flirren und Weben. Geschichten aus dem Wiener Wald, diese lehrreiche Moritat über die Vernichtung der jungen, einzig auf ihr Liebesglück erpichten Marianne (Barbara Novotny), soll aber noch mehr sein: Indem der Regisseur den Conférencier aus der "Maxim"-Szene herauspräpariert und ihn an den Anfang stellt, befördert er ihn zum epischen Erzähler.

Von nun an glaubt man sich auf eine DDR-Bühne in den schiefergrauen 80er-Jahren versetzt. Dieses Schreckensreich des Bösen, in dem die Sonne nicht aufgeht, erstrahlt matt - als epische Verfremdungskammer. In ihr müssen Schauspieler, die vollauf damit beschäftigt sind, die vielen Horváth-Sentenzen anzuschmecken, um sie möglichst unfallfrei über die Lippen zu bekommen (Guido Wachter als Rennplatz-Filou Alfred), dem gusseisernen Bertolt-Brecht-Theater frönen.

Man könnte, mit Blick auf Horváths unverwechselbare Eigenart, von einem grotesken Missverständnis sprechen: Natürlich stellt der Autor der Geschichten seine Figuren aus. Er denunziert sie jedoch nicht; er verlangt von ihnen, sich der "Kolportage" als eines Trampolins zu bedienen, mit dessen Hilfe sie ins Verderben springen. Bindende Vorschläge zur umstürzenden Weltveränderung hat er uns, ganz im Gegensatz zu seinem Antipoden Brecht, nicht überliefert.

Und so geht das Linzer Konzept, das sich so apart von den geläufigen Horváth-Orchestrierungen abhebt, an der Realität der Theaterverhältnisse doch einigermaßen zuschanden. Alle "Täter" ruhen in dieser Inszenierung schwer in sich - stellen ihre Deformationen unter dem Bleigewicht des Elends verdruckst zur Schau (Sven-Christian Habich als Fleischer Oskar). Sie kommen, mit der einen Ausnahme der wunderbaren Trafikantin Valérie (Verena Koch), deren windschiefe Verbogenheit alle Anlagen zum Widerstand, zum widerborstigen Beharren auf das Glück enthält, gar nie richtig ins Spielen. Marianne aber, eine begabte, empörungslodernde junge Liebende, lädt zwischen all den ausgestellten Karikaturen zum Identifizieren ein. Was aber wird uns in Linz erzählt? Dass das große Mädchen-Verbiegen ein Unfug ist? Es ist eine Crux mit Horváth: Die Benützung korrumpierter Aufführungstraditionen verbietet sich von selbst, das "Umstoßen" aller Selbstverständlichkeiten erzeugt bloß gliederlähmende Verkrampfung.

Willert, ein großer Meister im Aufspüren versteckter Hysterien und Neurosen, hat sich für das episch inspirierte Inventur-Machen entschieden: für das Herunterdeklamieren der Regieanweisungen, für das Einfrieren der berühmten "Stille"-Momente, in denen die Welt, wie's scheint, über sich selbst erschrickt. Es ist den Geschichten aus dem Wiener Wald nicht eben gut bekommen. Ein trauriger, ein Stück weit ratloser Befund: Die Donau fließt fröhlich glucksend weiter; die Horváth-Pflege geht derweil den Bach hinunter. (Ronald Pohl / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17.3.2008)