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"Humor ist unser Kapital", wirbt ein Jugendbuchverlag. Das Internet laufe dem Buch seinen Rang nicht ab, versicherten die Verlage; viele jugendliche Besucher der Buchmesse können das nur unterstreichen.

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... nur zurückhaltend wurden Jonathan Littell, Gastland Kroatien und das Thema "1968" behandelt.


Vielleicht war es ganz gut, dass er nicht kam. Er, der Lord Voldemort des literarischen Frühjahrs. Denn Jonathan Littell wäre beim Gedränge in den Gängen, vor den Medienständen, in den Interviewboxen und auf den blauen Gesprächssofas auf der diesjährigen Leipziger Buchmesse schlicht untergegangen. Dafür waren Die Wohlgesinnten des in Spanien lebenden Frankoamerikaners russischer Herkunft in der Messebuchhandlung unübersehbar. Hüfthoch war sein Skandalroman gestapelt, das Gestapoblutsuppenbuch, das in den letzten Wochen nicht zuletzt dank der Schützenhilfe der FAZ unverdrossen am Köcheln gehalten wurde. Der Name Littell fiel auf der Messe genau ein Mal: in der Eröffnungsrede des sächsischen Ministerpräsidenten, kurz vor der Überleitung zu den elektronischen Medien.

Weitaus umfassender fiel da schon der Ausblick des diesjährigen Preisträgers für Europäische Verständigung Geert Mak aus. Der kosmopolitische Niederländer endete mit der Schilderung Europas als fragmentiertes Gebilde. Verstörend milde gestaltete sich dagegen die Rede Gottfried Honnefelders, des Vorstehers des Börsenvereins, der Standesorganisation der deutschen Buchhändler und Verleger - tobt doch im Buchhandel derzeit ein rigoros ausgefochtener Verdrängungswettbewerb, ein Krieg, ausgelöst durch die großen Handelsketten und ihre zunehmende Marktmacht.

Helden im Stadtbild

Der für Samstag angekündigte martialische Aufmarsch der rechtsextremen NPD in der Innenstadt Leipzigs konnte kurz vor dem Eintreffen der Züge der Neonazis (aus dem Westen Deutschlands!) untersagt werden. Trotzdem musste man in der Bim höllisch aufpassen: Bloß nicht einem Feengeschöpf den Flügel knicken, mit einem Samurai zusammenstoßen oder einer Graphic-Novel-Heroine auf die Schleppe treten! Denn erneut lockerten wild und bewundernswert einfallsreich kostümierte Jugendliche als lebende Manga- und Comicfiguren, als Elfenritter oder Mitglieder von Caspians Brut die Masse der Buchleser, -hörer und -sammler auf.

In diesem Jahr mutete die Leipziger Buchmesse, für die ausstellenden Verlage schon immer mehr eine Kontakt- denn eine Verkaufsbörse, ungewohnt routiniert und angenehm unaufgeregt an. Der Schwerpunkt Kroatien geriet sehr dezent - in Kroatien gilt ein Buch, das sich mehr als eintausendmal verkauft, als Erfolg.

Schon am zweiten Tag strömten mehr Zuhörerinnen und Zuhörer zu anderen nationalen Leseinseln, beispielsweise zu den Finnen. Die Präsentation der Türkei mit kelimartigem Plakat, Einstimmung auf ihre Rolle als Gastland der Frankfurter Buchmesse im Herbst, war diplomatisch - die Plakate mit dem Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk hingen nicht an den Wänden, sondern waren auf den Tischen ausgelegt und somit leicht zu übersehen. Der Beinschinken, den der Klagenfurter Verleger Lojze Wieser traditionell nach Leipzig mitbringt und heuer zwischen seinen Slowenien- und Kroatien-Kassettenausgaben abschnitzelte, brauchte heuer länger, um weniger zu werden. Und auch das Weindeputat der Interessengemeinschaft Österreichischer AutorInnen überdauerte noch den Freitag. Der österreichische Autor Anselm Glück wurde mit dem mit 8000 Euro dotierten Preis der Literaturhäuser ausgezeichnet.

Anderes hatte stärker den Charakter eines verspäteten, leicht nostalgischen Klassentreffens. Das Thema "1968" etwa. Erstaunt nahm man wahr, wer in jüngster Zeit noch der Geriatrie ein Schnippchen schlug und zum Stift griff, um zumeist wenig Memorables zu Papier zu bringen. Wer weiß schließlich, was in zehn Jahren sein wird ... Dass man dabei unablässig die lockenwallige Ex-Revolutionswitwe Rainer Langhans mit dem lockenwalligen Ex-Schlagersänger Christian Anders verwechselte, der unter dem Pseudonym "Lanoo" psychedelischen Spiritismus in Buchform unters Volk bringt und auch dieses Jahr auf der Buchmesse predigte - war's Zufall oder Absicht?

Bücher, zu schön zum lesen

Im Hörbuchsegment, stetig wachsend in den letzten Jahren (auch 2007, in dem der Buchhandel erstmals wieder ein starkes Umsatzplus verzeichnete), fällt eine Ausdifferenzierung auf. Das klassische Hörbuch, als Lesung oder Hörspiel, tritt zurück, und das Spielerische - für Kinder wie zum Sprachenlernen - wird stärker. Und es gibt eine Zweiteilung in Preiswertes und Bibliophiles. So fanden sich Deluxe-Ausgaben, die fast zu schön zum Auspacken sind - was die zahlreichen innovativen Stände der vielen Grafikhochschulen ironisierten. Die Kieler Muthesius-Fachhochschule offerierte beispielsweise "1 Deka Gestaltung" für einen Euro.

Wem die üblichen Rollenspiele - freundlich nach Auskunft Fragender oder sackerlbepackter Katalogjäger - nicht genügten, der fand Zuflucht in Halle zwei, der Abteilung für Manga, Comics und Graphic Novels. Dort gab es erstmals auch Nonstop-Einsteigerrunden für Fantasyrollenspiele. Und noch zum Schluss, Sonntagmittag, gar noch eine Weltpremiere: Narnia - Das Rollenspiel . Zeitlich überaus passend zum Anlaufen des zweiten Teils der C.-S.-Lewis-Verfilmung von Disney, der im Sommer in die Kinos kommt. Geschäft muss sein. Auch beim Buch. (Alexander Kluy aus Leipzig / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17.3.2008)