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Spucken verboten, weil sich sonst das Tuberkulose-Virus besser verbreiten kann? Noch ist das eine Vision. In der globalisierten Welt kommt jedoch ein gefährliches Virus aus dem ehemaligen Ostblock in die Industrieländer zurück.

Foto: REUTERS/Claro Cortes
Noch in der Zwischenkriegszeit war Tuberkulose auch in Österreich ein Problem. Dann verschwand die Erkrankung allmählich aus dem Bewusstsein. Doch ist sie "nichts Historisches, sondern von entsetzlicher Aktualität", berichtet Jörg Pont. Die Neuerkrankungen hätten sich in den letzten 50 Jahren weltweit verzehnfacht. Pont ist Vorstandsmitglied bei "Ärzte ohne Grenzen" (Médecins sans frontières - MSF) in Wien.

Im Rahmen eines TB-Programms von MSF verbrachte er zwei Monate in Kirgistan. "Tuberkulose ist eine Krankheit der Armen", erklärt Pont und bezieht sich dabei nicht nur auf Individuen, sondern auch auf Länder. Besondere Dramatik habe die epidemiologische Entwicklung in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion, Afrika, den baltischen Staaten, der Ukraine, Georgien und Kirgistan.

Forschungsmanko

"Wir haben seit 50 Jahren keine neuen Medikamente gegen TB", sagt Pont und spricht von einem Forschungsmanko.

Es existieren bereits - in verschiedenen Graden - resistente Tuberkelbakterien. Multiresistente TB spricht auf klassische Medikamente nicht mehr an und muss über einen längeren Zeitraum und wesentlich nebenwirkungsreicher behandelt werden. Daneben gibt es extrem resistente Bakterien, gegen die so gut wie keines der üblichen Medikamente hilft.

Dieses Manko führt Pont darauf zurück, dass die Pharmaindustrie in dieser "Krankheit der Armen" keinen Markt finde. "Wahrscheinlich werden wir die kommenden zehn bis 15 Jahre keine Medikamente haben, die das besser in den Griff bekommen."

Gefahr Globalisierung

Epidemiologisches Gefahrenpotenzial hätte TB jedoch auch in der westlichen Welt. Durch Globalisierung und vor allem durch das Aufkommen multiresistenter und extrem resistenter TB ist eine Verbreitung nicht ausgeschlossen. Dies werde nun langsam erkannt.

Es sei eigenartig, dass man sich nur frage, wie das "uns, die Gutsituierten" betreffen könnte, findet Pont. Würde es uns ein bisschen mehr treffen, "würden sich die Pharmaindustrie, die Grundlagenforschung, die Bakteriologie und die Immunologie mehr auf dieses Problem stürzen". Denn neue Medikamente und eine bessere Diagnostik seien dringend nötig. Von einer Impfung gegen TB sei nicht viel zu erwarten, sagt Pont. Der existierende Impfstoff verhindert tuberkulöse Meningitis bei Kleinkindern und wird in stark betroffenen Ländern eingesetzt. Er schützt aber nicht vor der häufigsten Form der TB, der Lungenerkrankung bei Erwachsenen.

Haft als Turbo

Ziel des MSF-Programms ist, die Verbreitung von TB zu vermindern, bestenfalls zu stoppen. Angesetzt haben die Ärzteteams in Gefängnissen, die "eine Motorfunktion bei der TB-Ausbreitung spielen". Schlechte Belüftung und Belichtung und das massenweise Zusammenleben auf engem Raum bereiten den TB-Bakterien fruchtbaren Boden. Dazu kommen die mangelhafte medizinische Versorgung, schlechte Diagnostik und Medikamentenmangel.

"Dort sieht es wirklich schlimm aus", berichtet Pont von kirgisischen Untersuchungsgefängnissen, wo die Situation am gravierendsten sei. Sie seien für den Aufenthalt von zwei Wochen gebaut, aber das Justizsystem arbeite so langsam, dass die Leute dort bis zu zwei Jahre verbringen müssten, auf engstem Raum.

Der erste Schritt der Initiative war das Auffinden der TB-erkrankten Häftlinge über Untersuchungen der Symptome und des Sputums (Anm.: ausgehustete Absonderung der Atemwegsschleimhäute). So wurde festgestellt, dass ein Viertel aller Personen, die länger in Haft sind, an TB erkranken und bis zu 25 Prozent an multiresistenter TB leiden.

Große Rolle spielt HIV

Was in der Bekämpfung von TB noch zu wenig berücksichtigt werde, sei die Rolle des HI-Virus. Nur zehn Prozent aller TB-Infizierten würden klinische Tuberkulose entwickeln. "Bei Immunschwäche können diese schlafenden Bakterien aufwachen", erklärt Pont, "die HIV- und die TB-Epidemie heizen einander an." Bei Immundefizienz kommt hinzu, dass die Krankheit wesentlich rasanter verläuft und rascher und häufiger zum Tod führt.

"Es reicht, die gleiche Luft zu atmen", warnt Pont vor der Ansteckungsgefahr von TB, die oft unterschätzt würde. Daher arbeitet man in Kirgistan an einer Separation der Betroffenen und an einer schnelleren Diagnostik.

Bei den Sputum-Untersuchungen mittels Mikroskop kann man nur 50 Prozent der Erkrankten ermitteln. Kultiviert man das Sputum, findet man 100 Prozent, aber dies dauerte bisher sechs bis acht Wochen. In flüssigen Medien versucht man nun die Bakterien schneller wachsen zu lassen. "Diese Technik funktioniert gut, wir haben sie dort schon implementiert."

Außerdem versuche man "banal, die Gefängnisse kräftig durchzulüften", um die Bakteriendichte in der Luft zu mindern. Auch wurden Absaugeeinrichtungen installiert.

Ärzte ohne Grenzen sicherte auch die Zufuhr von Medikamenten und überwacht im Rahmen von DOTS (Directly Observed Treatment Short Course) die regelmäßige Einnahme. Besonders sei dies bei multiresistenter TB nötig, bei der eine Behandlungsdauer von bis zu zwei Jahren notwendig ist. Aus inkonsequenter Einnahme könnten neuen Bakterienresistenzen entstehen. Ende September 2007 waren 800 Patienten in aktiver Behandlungsbetreuung, inzwischen sind es mehr geworden. "Sie fühlen sich erstmals als Patienten wahrgenommen", berichtet Pont von der positiven Aufnahme seitens der Betroffenen. Auch die Ärzte vor Ort behandelten sie nun ganz anders. Ziel ist es, eine langfristige Verbesserung herbeizuführen, die auch nach der Abreise von MSF anhält. (Julia Grillmayr, DER STANDARD, Printausgabe, 17.3.2008)