Wien - Der UNO-Sonderberichterstatter für Folter, Manfred Nowak, betrachtet die Sezessionismus-Vorwürfe der chinesischen Führung gegen den Dalai Lama in der gegenwärtigen Tibet-Krise als völlig unbegründet. Gerade der Dalai Lama habe nie die staatliche Eigenständigkeit verlangt, sondern Autonomie und Selbstbestimmung, um die Kultur des tibetischen Volkes innerhalb des chinesischen Staatsverbandes erhalten zu können, betonte der österreichische Universitätsprofessor und Leiter des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Menschenrechte am Dienstag in einem ORF-Radiointerview im Ö1-Morgenjournal. Dennoch beschuldige Peking das Exil-Oberhaupt unaufhörlich sezessionistischer Aktivitäten.

China fühle sieht Machtanspruch bedroht

Die chinesische Führung fühle sich nicht nur durch nationale Minderheiten oder Demokratiebewegungen bedroht, sondern generell durch alle Kräfte, die den Machtanspruch der KP infrage stellen könnten, sagte Nowak, der in diesem Zusammenhang auch die verbotene Meditationsbewegung Falun Gong nannte. Das von den Kommunisten eigenartigerweise übernommene konfuzianische Harmonie-Modell habe zur Folge, dass "Menschen, die sich gegen den Mainstream stellen, sehr leicht in die Situation kommen, unterdrückt oder Umerziehung unterworfen zu werden". Der von der EU und den USA gewählte Weg des Menschenrechtsdialogs mit Peking habe kleine Verbesserungen bewirkt, so Nowak, der daran zweifelt, dass ein Boykott der Olympischen Spiele in Peking zum Besseren führen würde.

Nowak hatte den chinesischen Behörden in der Vergangenheit schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen und eine Reform des Justizwesens gefordert. Er setzte sich insbesondere für die Menschenrechtsaktivisten Gao Zhisheng und Hu Jia ein. Der Prozess gegen den 34-jährigen Bürgerrechtler Hu Jia wegen "Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt" hat am Dienstag in Peking begonnen. (APA)