Rom/Berlin/Oslo - Die Tibet-Krise ist auch am Mittwoch Gegenstand internationaler Pressekommentare:

  • "Le Figaro" (Paris):

    "Das große Sportfest (die Olympischen Spiele in Peking) zu boykottieren hat keinen Sinn. Das wäre eine Beleidigung für all jene Chinesen, die sich von den Spielen eine Öffnung ihres Landes erhoffen. Selbst der Dalai Lama räumt dies ein. Doch wenn am 8. August die Olympischen Sommerspiele in Peking eröffnet wird, dürfen wir die Krise in Tibet nicht vergessen. Diese Spiele müssen die Gelegenheit sein, um der Volksrepublik China klar zu machen, dass ihr Aufstieg zu einer Weltmacht ihr auch Verantwortung in der Welt aufbürdet. Eine der Pflichten Pekings ist es, einen Dialog mit dem Dalai Lama zu führen."

  • "Libération" (Paris):

    "Wir wissen, dass es nicht nur Tote in Tibet gab, sondern dass außerdem in China in den vergangenen Monaten Hunderte von Journalisten, Internet-Surfern und Menschenrechtsaktivisten festgenommen worden. Also, was soll man tun? Ein Boykott der Olympischen Spiele, den alle Nichtregierungsorganisationen und selbst der Dalai Lama ablehnen, ist keine Lösung. Dies würde das Regime nur weiter isolieren und sein Volk bestrafen. Doch zwischen dieser extremen Maßnahme und der politischen Gleichgültigkeit gibt es einen großen Spielraum. Die Staatschefs könnten beispielsweise damit drohen, dass sie die Eröffnungszeremonie boykottieren, wenn die Massaker in Lhasa andauern und die Unterdrückung in China nicht nachlässt."

  • "Corriere della Sera" (Mailand):

    "Der chinesische Ministerpräsident Wen Jiabao und der Dalai Lama reden miteinander, wenn auch nur aus der Distanz. (...) Denn Wen Jiabao und der Dalai Lama haben einen gemeinsamen Feind: Die Intoleranz der extremistischen Flügel des Regimes und der tibetischen Opposition. Das Neue ist, dass beide dies jetzt auch gesagt haben, aus der Distanz. Wen auf indirekte Art. Der Dalai Lama mit einer außergewöhnlichen Ehrlichkeit, die China beruhigen sollte: 'Wenn die Tibeter den Weg der Gewalt wählen, dann müssen wir zurücktreten, weil wir für absolute Gewaltlosigkeit sind. Wir müssen die Gewalt sowohl der Chinesen als auch der Tibeter stoppen.' Mehr kann man wirklich nicht erwarten. Außer vielleicht, man will den Anführer eines Volkes erniedrigen, der zudem noch Friedensnobelpreisträger ist."

  • "Der Tagesspiegel" (Berlin):

    "Es ist nicht so sehr die Angst vor einer Eskalation, die den Dalai Lama veranlasst hat, seinen Rücktritt (als weltliches Oberhaupt) anzubieten, falls die gewalttätigen Demonstrationen weitergehen. Zu viele chinesische Soldaten, Gewehre und gepanzerte Fahrzeuge sind seit dem Beginn der Ausschreitungen in Tibet und den benachbarten Provinzen stationiert. Die chinesischen Machthaber haben wohl zum dritten Mal nach 1959 und 1989 einen tibetischen Aufstand gewaltsam unterdrückt. Das Rücktrittsangebot ist vielmehr die Art eines Friedensnobelpreisträgers, auf Wen Jiabaos unbewiesene Vorwürfe zu reagieren."

  • "die tageszeitung" (taz) (Berlin):

    "Mit der verbalen Attacke auf das religiöse Oberhaupt der Tibeter versuchte Chinas Regierungschef, auf dem Gebiet der Propaganda wieder die Oberhand zu gewinnen. Was im Ausland wirkte, als wolle Wen noch Öl ins Feuer gießen, folgte in Wirklichkeit einem ungeschriebenen Gesetz der chinesischen Kommunisten: Wer bei Volksunruhen Schwäche zeigt, ist schon bald nicht mehr im Amt. Umgekehrt gilt es auch: So war Chinas derzeitige Nummer eins, Staats- und Parteichef Hu Jintao, auch wegen seiner blutigen Niederschlagung von Tibeter-Protesten im Jahr 1989 in Lhasa bis auf seinen jetzigen Posten befördert worden."

  • "Rhein-Zeitung" (Koblenz):

    "Nichts könnte falscher sein, als dem Dalai Lama die Schuld für den Gewaltausbruch zu geben. Seit Jahrzehnten predigt er Friedfertigkeit, verkörpert heitere Gelassenheit. Seine Thesen sind weit entfernt von allem, was ein nationalistischer Heißsporn verbreiten würde. Tibet hat seinen inneren Frieden noch lange nicht gefunden, der Dalai Lama hingegen schon. Wenn Peking ihn jetzt als Drahtzieher der Rebellion denunziert, verbaut es sich den letzten Weg zum Frieden mit der tibetischen Minderheit. Der Dalai Lama ist es, der die Radikalen unter seinen Anhängern zu Geduld und Gewaltlosigkeit mahnt. Sollte das geistliche Oberhaupt sich gezwungen fühlen, von seinem weltlichen Amt als Staatsoberhaupt zurückzutreten, hätte China nichts gewonnen und seinen letzten Gesprächspartner verloren."

  • "Aftenposten" (Oslo):

    "China hat sich gegenüber den protestierenden Tibetern für eine harte Linie entschieden. Die Meldungen aus Lhasa und anderen Städten deuten darauf hin, dass die Führung in Peking eine Großoffensive gegen alle in Gang gesetzt hat, die sich gegen die chinesische Herrschaft zur Wehr gesetzt haben oder das noch tun könnten. Den leider dürren und sporadischen Meldungen zufolge macht China genau das, was autoritäre und verunsicherte Regimes meistens tun. Man versucht, das eigentliche Geschehen zu verschleiern, indem man ausländische Medien behindert und potenziellen Augenzeugen die Einreise verbietet. (...)

    Es gibt allen Grund, beim Vorgehen der Chinesen in Tibet möglichst genau hinzusehen. Bis zu den Olympischen Spielen im August in Peking sollten alle Reaktionsmöglichkeiten offengehalten werden. Aber die allgemeine Aufmerksamkeit darf sich nicht nur auf diese Frage konzentrieren. Viel wichtiger ist, dass Peking jetzt in Tibet auf eine akzeptable Weise und entsprechend international geltender Normen agiert."

  • (APA/dpa)