Spiel mit den Möglichkeiten der Sprache: Hugo Claus.

Foto: G. Dauphin

Antwerpen – Die Welt ist ein Eckbeisel mit Namen: Zum Stillschweigen. Darin die Menschen, 'Opfer', 'Täter', je nachdem. Nachdem, wer denkt, wer redet über das Stillschweigen hinweg. "De geruchten" ("Gerüchte") nannte Hugo Claus einen seiner späten großen Romane. Dass er auf deutsch nach dem zentralen Treffpunkt "Zum Stillschweigen" wurde, spricht für sich. Ein belgisches Dorf, Alegem, wird zum Schauplatz des Dramas. Heim kehrt ein Kriegsteilnehmer, Kolonialkrieger in Afrika. Wenig später mehren sich die Tode im Ort. Eine Krankheit, eine Seuche? Die Gerüchte wachsen. Auch die Aggression.

Die verspielte Virtuosität, mit der Hugo Claus die wesentlichen Inhalte des 1996 erschienenen Buches über den Umweg der Form ausspricht und zugleich verschweigt, bestätigte einmal mehr – genau: das Gerücht, er sei für den Literatur-Nobelpreis nominiert: Durch den Wechsel der Perspektiven, chorische, mit "Wir" überschriebene Kapitel, adaptierte er souverän die Tragödie für die Prosa. "Tis all in pieces, all coherence gone", zitierte er als Motto John Donne. Was bleibt, ist das grimmige Spiel mit den Splittern. Nicht ohne Lust.

Spätestens seit dem Tod Georges Simenons galt Hugo Claus als Belgiens wohl wichtigster Autor. In flämischer Sprache schon davor – stets mit deren Möglichkeiten jonglierend: Zum Bildhauer und Schauspieler ausgebildet, zog er, zwanzigjährig, nach Paris und kam dort in Kontakt mit Antonin Artaud und der Künstlergruppe Cobra. Als Lyriker und Zeichner veröffentlichte er in deren Zeitschrift. Später folgten Essays, Prosa, Dramen. Über 150 Einzelveröffentlichung zählt sein Werk.

Schon 1950 schrieb er, in nur drei Wochen, den ersten Roman "De Metsiers" über eine flämische Bauernfamilie am Ende des Zweiten Weltkriegs und hatte hier bereits das Thema seines rapide wachsenden Œuvres angeschlagen: Krieg, Schuld und Schweigen in den bäuerlichen und kleinbürgerlichen Familien des Landes. "Der Kummer von Flandern" heißt denn auch sein 700-seitiges Opus magnum, in dem er Belgiens zwielichtige Rollenspiele während des Zweiten Weltkriegs ausleuchtet.

Am Mittwoch starb Hugo Claus 78-jährig in Antwerpen. Den Zeitpunkt seines Todes hatte er selbst gewählt. Er litt an Alzheimer und hatte um Sterbehilfe gebeten. (Cornelia Niedermeier / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20.3.2008)