Heftige Straßenschlachten im Norden Kosovos zwischen serbischen Demonstranten und den internationalen Ordnungskräften mit 63 verletzten polnischen, französischen und ukrainischen UN-Polizisten und Nato-Soldaten und über 100 Verletzten auf der serbischen Seite; ungeklärte gewaltige Explosion eines Munitionsdepots in Albanien, Regierungskrise in Mazedonien nach dem Ausscheiden der albanischen Vertreter aus der Koalitionsregierung und ein drohendes Veto Griechenlands gegen den geplanten Nato-Beitritt des seit 1991 unabhängigen Staates, da die Athener Regierung Mazedonien zur Umbenennung des Staates zwingen wird. Das sind einige der letzten Nachrichten aus der spannungsgeladenen Balkanregion. Zu den anderen Konfliktzonen in Südosteuropa gehört vor allem das brüchige künstliche Gebilde Bosnien-Herzegowina mit den beiden Teilen - die kroatisch-muslimische Föderation und die Republika Sprska.

Das vielfältige Spannungsverhältnis zwischen historisch gewachsenen ethnischen Siedlungsverhältnissen und dem modernen nationalstaatlichen Ordnungsprinzip hat nach jeder neuen Staatsbildung und Grenzveränderung im engeren Balkanraum (ein Gebiet, das kleiner ist als Frankreich) wiederholt dramatische Folgen im Ringen zwischen (momentanem) Gewinner und Verlierer gezeitigt. Das Verständnis, das der als "gemäßigter Nationalist" geltende serbische Regierungschef Kostunica und sein "Kosovo-Minister" Samardzic für die Gewaltakten gegen ausländische Botschaften in Belgrad und nun gegen die internationalen Truppen zeigten, lässt nichts Gutes für die Zukunft der umkämpften abgespaltenen Provinz und vor allem der von der "Opfer-Hysterie" der Nationalisten dominierten serbischen "Mutterrepublik" erwarten.

Auch die unversöhnliche Haltung der griechischen Regierung gegenüber Mazedonien lässt die unveränderte Kluft zwischen sogenannten "historischen Rechten" und den Folgen des modernen Selbstbestimmungsrechtes bezüglich des fraglichen Gebietes trotz der Zugehörigkeit zur EU deutlich erkennen. Die griechische Außenministerin Bakoyanni konnte auch in einem langen Interview (Süddeutsche Zeitung, 17. 3.) keine triftigen Gründe für den grotesken Namensstreit vorbringen. Die sich zu ihrer mazedonischen Identität bekennenden rund eineinhalb Millionen Einwohner des kleinen Staates (die albanische Minderheit macht mindestens ein Viertel der Gesamtbevölkerung von über zwei Millionen aus) lehnen den griechischen Druck ab, "sich zwischen der nationalen Identität und der Nato zu entscheiden" (so Sicherheitsberater Nikola Dimitrov).

Der Untergang des jugoslawischen Experiments war die Folge unter anderen auch der bewussten Handlungen der nationalen Eliten. Es war die rechtzeitige präventive Intervention der internationalen Gemeinschaft, die in Bosnien, Mazedonien und in der Region Kosovo eine neue Welle blutiger ethnischer Säuberungen verhindert hat. Auch die Minderheitenrechte der 100.000 bis 120.000 verbliebenen Serben können nur durch die Wachsamkeit und den Druck der internationalen Staatengemeinschaft voll gesichert werden. Aber man muss offen aussprechen, dass der, auch von dem zurückgetretenen Koordinator Erhard Busek kürzlich vertretene Traum von der Aufnahme aller Länder Südosteuropas in die Union eine Illusion ist. Bereits die nicht entsprechend vorbereiteten letzten Erweiterungen gefährden die Handlungsfähigkeit der EU. Rascher Kandidatenstatus für alle Balkanstaaten mit allen tickenden Zeitbomben wäre trotz Erfindungsreichtums der praktischen Politik wohl der Auftakt zum totalen Scheitern des großen europäischen Experiments. (Paul Lendvai/DER STANDARD, Printausgabe, 20.3.2008)