Brüssel- In Belgien ist unmittelbar nach der Bildung einer neuen Regierung wieder Streit über die geplante Staatsreform ausgebrochen. Nach neunmonatiger Führungskrise hatte das Parlament in Brüssel dem neuen Premierminister Yves Leterme am Samstag das Vertrauen ausgesprochen. Tags darauf stellte Finanzminister Didier Reynders jedoch den vereinbarten Zeitplan für die Neuordnung staatlicher Zuständigkeiten infrage. Das löste am Montag Verärgerung auf der Seite der Flamen aus, die mehr Rechte für die Regionen fordern.

Der Streit um die Staatsreform hatte das Königreich in die längste Regierungskrise seiner Geschichte gestürzt. Um doch noch eine Koalition zu schmieden, klammerte der flämische Christlichsoziale Leterme diese Fragen schließlich aus. Ihre Lösung wurde bis zur Sommerpause vertagt. Von dieser Vereinbarung rückte Reynders nun wieder ab. Eigentlich habe man für die Regelung drei Jahre Zeit, sagte der frankophone Vizepremier am Ostersonntag im Fernsehen.

An der Nase herumgeführt

Die nationalistische Flamenpartei NV-A warf den Politikern aus dem französischsprachigen Wallonien vor, den niederländisch sprechenden Norden seit Monaten an der Nase herumzuführen. "Und nun, wo sie schwarz auf weiß eine Vereinbarung geschlossen haben, die Sachen bis zum Juli zu regeln, ziehen sie das am Tag nach der Regierungserklärung schon wieder in Zweifel", schimpfte NV-A-Chef Bart De Wever, dessen Partei für die Machtbalance in der Fünf- Parteien-Koalition wichtig ist.

Der neuen Regierung gehören Konservative und Liberale aus beiden großen Sprachgruppen sowie die frankophonen Sozialisten an. Bei der Abstimmung im Parlament votierten auch die NV-A-Abgeordneten bis auf De Wever für den Flamen Leterme, mit dessen Christlichsozialen sie ein Wahlbündnis eingegangen waren. Insgesamt stimmten 97 Abgeordnete in der Abgeordnetenkammer für den Regierungschef, 48 waren gegen ihn.

EU-Kommissionspräsident José Manuel Durao Barroso gratulierte Leterme zum Amtsantritt. Belgiens "allseits bekannter Sinn für Kompromiss und Vermittlung" habe viel zum europäischen Aufbauwerk beigetragen. "Ich habe keinerlei Zweifel, dass unter Ihrer Leitung die neue belgische Regierung auch weiterhin eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der Europäischen Union spielen wird, und sich der Dialog zwischen der Europäischen Kommission und ihrem Gastgeberland fruchtbar weiter entwickeln wird", schrieb Barroso an Leterme.

Letermes liberaler Vorgänger Guy Verhofstadt war unmittelbar nach der Amtsübergabe am Donnerstag nach Italien gereist. Verhofstadt wolle die ganze Osterwoche auf seinem Landgut in Umbrien verbringen, meldeten flämische Zeitungen unter Berufung auf seinen Sprecher Koert Deboeuf. Der Liberale will nach fast neun Jahren an der Spitze der belgischen Regierung ein Jahr Urlaub von der Politik nehmen. (APA/dpa)