Zur Osterzeit holen Journalisten, die auf sich halten, das Letzte aus sich heraus. Manche sogar das Allerletzte. In einigen Fällen muss man schon froh sein, wenn es nur profan zugeht, und die Anlassberichterstattung nicht ins Blasphemische abgleitet.

Nicht alle stützen sich dabei, wie der Standard, auf Religionswissenschafter, wenn sie von Allmachtsfantasien auf dem Stuhl Petri schreiben, statt wenigstens in dieser Zeit des Jahres auf die gebotene Distanz zur Diesseitsgebundenheit aller Wissenschaft zu gehen. Von peinlicher Weltlichkeit auch der "Kurier", der glaubte, dem Event mit der Abbildung gefärbter Eier auf Seite 1 und der Empfehlung an die Kirche, mehr Toleranz schadet nicht, gerecht werden zu können. Ganz abgesehen vom "profil", das seine Leserinnen und Leser mit der Frage auf dem Cover Gibt es Wunder? ins Blattinnere lockte, wo Satan seinen billigen Triumph feiern durfte: Mit historischen Fakten haben die Wunder von Lourdes, Fatima oder Medjugorje allerdings nur wenig zu tun. Wer hätte das gedacht?

Mehr spirituellen Einsatz zeigte da schon "Österreich", das am Freitag mit der alarmierenden Schlagzeile Bin Laden droht mit Anschlag zu Ostern einige Terror-Angst um den Papst schürte, was mit der korrekten Meldung "Bin Laden droht zu Ostern mit Anschlag" vielleicht nicht ganz so gut gelungen wäre, und das umso weniger, als im Blattinneren ein Terror-Experte Bin Ladens Drohung weniger mit Ostern als vielmehr mit dem Geburtstag des Propheten am 20. März und mit dem fünften Jahrestag der US-Invasion im Irak in Zusammenhang brachte. Auch die Meldung vom nächsten Tag, Benedikt will Juden bekehren, hat anderswo mehr Aufregung erzeugt als bei Al-Kaida.

Beruhigung trat am Ostersonntag ein, als die Liebe und der Hl. Vater das Titelblatt erobern konnten. Groß oben gestand Schwimm-Star Markus Rogan: Die Liebe macht mich schnell, etwas kleiner unten: Der Papst privat - EXKLUSIV-REPORT: So feiert er Ostern im Vatikan. Nicht ganz so schnell, aber mit Tiefgang, enthüllte doch Deutschlands bester Papst-Kenner: "Zum Mittagessen gibt es Huhn."

Der nagende Zweifel kam auch zu seinem Recht, in den "Salzburger Nachrichten" und in einem Zusammenhang, der sich jedem Österreicher, mag er nun fröhlicher Wertechrist oder leidendes Gewerkschaftsmitglied sein, mühelos erschließt. Das Verhältnis der Wertechristen zur Kirche scheint ähnlich zu sein wie das vieler Österreicher zum ÖGB. Spätestens seit dem Bawag-Skandal halten sich zwar die meisten persönlich von der Arbeitnehmerbewegung fern. Gleichzeitig wären sie aber schockiert, würde dieses gesellschaftliche Gegengewicht zum wuchernden Wirtschaftsliberalismus von der politischen Bildfläche verschwinden. Heute weiß man, dass im ÖGB der nagende Zweifel an der Spitze viel zu spät eingesetzt hat. Könnte das der Kirche helfen?

Aber was wäre Ostern ohne die Wortspende des metaphysischen Kraftmeiers im heimischen Journalismus, der in der "Presse" der katholischen Kirche Die synthetische Kraft zurückerobern wollte und forderte: Es ist an der Zeit, die identitätspolitische Rolle der Kirche für Europa klarer zu sehen - und zu würdigen. Urheber dieser Idee ist aber gar nicht Michael Fleischhacker - der ist nur ihr Apostel -, sondern kein anderer als Osama Bin Laden. Die Osterfeiern in Rom bilden den Höhepunkt des christlichen Jahres. Osama bin Laden, der Anführer der islamistischen Terrororganisation al-Qaida, weiß das. Darum hat er seine jüngsten Drohungen direkt an den Papst gerichtet. Bin Laden geht also mit einer großen Selbstverständlichkeit davon aus, dass seine Drohungen gegen den Papst in Rom das gesamte Abendland zum Adressaten macht. Eine kräftige Synthese!

Nur gut für das Abendland. Denn damit hat der Terrorpate einem Gutteil der Europäer etwas voraus: Die halten inzwischen die Antibabypille und den uneingeschränkten Warenverkehr eher für einen Grundpfeiler des Abendlandes als das Vorhandensein der römisch-katholischen Kirche. Natürlich sind Bin Ladens Drohungen gegen den Papst in Rom nicht nett, aber wenn er der Kirche auf seine Art mit großer Selbstverständlichkeit wieder zur Rolle einer synthetischen Kraft des gesamten Abendlandes verhelfen will, kann man ihm einiges nachsehen, ja man möchte sich manchmal wünschen, dass der durchschnittliche Österreicher so viel Gespür für den Stellenwert der Kirche hätte wie der saudische Terrorpate. Man muss ja nicht gleich dieselbe Vorstellung vom "Absoluten" haben wie Osama bin Laden. Man ist ja tolerant!

Wer so viel synthetische Kraftnahrung intus hat, fühlt keine analytische Schwäche. Denn er kennt die wahren Schuldigen an der identitätspolitischen Misere der katholischen Kirche. Das hat nicht zuletzt mit den gesellschaftlichen Umbrüchen des Jahres 1968 zu tun, die sich in diesem Frühjahr zum 40. Mal jähren. Die alten Achtundsechziger waren's, gut so! Wenn man dem durchschnittlichen Österreicher als angemessenes Lebensgefühl Bin Ladens Gespür für den Stellenwert der Kirche empfehlen kann, dann kann es mit der synthetischen Kraft in diesem Lande nur noch auf- und himmelwärts gehen. (Günter Traxler, DER STANDARD; Printausgabe, 25.32008)