Brüssel - Der Präsident des Europäischen Parlaments, Hans-Gert Pöttering, hat den Dalai Lama zu einem Besuch eingeladen. Das Exil-Oberhaupt der Tibeter sei jederzeit im Parlament willkommen, um über die Lage der Tibeter in China zu berichten, sagte Pöttering am Mittwoch zum Auftakt einer Dringlichkeitssitzung zur Lage in Tibet. Das EU-Parlament kritisierte das Vorgehen der chinesischen Behörden gegen Proteste von Tibetern gegen die chinesische Herrschaft einmütig scharf. Uneinig waren sich die Abgeordneten jedoch in der Frage eines möglichen Boykotts der Olympischen Spiele in Peking im Sommer. Der tibetische Exil-Parlamentspräsident Karma Chopel berichtete, das Militär der Volksrepublik sei inzwischen für mindestens 135 "Tötungen und Massaker" an tibetischen Demonstranten verantwortlich, mehr als 1.000 Tibeter seien verhaftet worden.

Pöttering rief die chinesischen Behörden auf, den Tibet-Konflikt im Dialog mit dem Dalai Lama zu lösen. Darüber hinaus regte der deutsche Politiker (CDU) erneut einen Boykott der Olympia-Eröffnungsfeier durch europäische Politiker an. Falls China zu keinem Dialog bereit sei, müsse sich jeder "verantwortungsbewusste" Politiker fragen, ob er an der Zeremonie in Peking teilnehmen sollte, erklärte er. Der Dalai Lama habe die Einladung der EU-Volksvertretung angenommen. Vermutlich werde er im Dezember vor dem Plenum sprechen.

Boykott

Vor allem Konservative und Grüne plädierten für einen Boykott der Eröffnungsfeier und möglicherweise auch der gesamten Spiele, während Sozialdemokraten zumeist davor warnten. "Unsere Politiker müssen darauf verzichten, an der Eröffnungsfeier teilzunehmen", sagte der Grünen-Fraktionsvorsitzende Daniel Cohn-Bendit. "Wenn sich alle so wie das Internationale Olympische Komitee verhalten, dann hat die Diktatur gewonnen." Auch ein Boykott der Spiele könne nicht ausgeschlossen werden.

Der Vorsitzende einer fraktionsübergreifenden Tibet-Gruppe des Europa-Parlaments, der deutsche CDU-Abgeordnete Thomas Mann, erklärte: "Wir müssen uns alle Optionen offen halten, wenn Peking nicht einlenkt und den kulturellen Genozid an den Tibetern fortsetzen sollte."

Im Namen des slowenischen EU-Vorsitzes forderte Europa-Staatssekretär Janez Lenarcic die Regierung in Peking zum konstruktiven Dialog mit dem Dalai Lama auf. Journalisten müsse wieder die Einreise nach Tibet gestattet werden.

China warnt EU vor "Einmischung"

China hat die Europäische Union davor gewarnt, sich in den zur inneren Angelegenheit erklärten Tibet-Konflikt einzumischen. Einen Tag vor dem EU-Außenministerrat in Slowenien sagte Außenamtssprecher Qin Gang am Donnerstag, die EU sollte keine "falschen Botschaften" an den Dalai Lama senden.

"Ich denke, es gibt Verbrecher, insbesondere gewalttätige Verbrecher, in den europäischen Ländern", sagte Qin zur Niederschlagung der Unruhen in Lhasa nach den antichinesischen Protesten am 14. März. "Wie gehen Polizisten mit diesen Fällen in Europa um? Man kann sich das denken, und ich hoffe also, dass Europa in dieser Hinsicht keine Doppelmoral hat."

Exil-Tibeter fordert Einschreiten

Der tibetische Exil-Politiker Chopel, der auch vor dem EU-Parlament sprach, forderte ein Einschreiten der internationalen Gemeinschaft gegen die Gewalt in seiner Heimat. "Das Töten unschuldiger Tibeter muss ein Ende haben, die internationale Gemeinschaft muss einschreiten", erklärte er am Mittwoch auf einer Pressekonferenz in Brüssel. Zur Frage eines Boykotts der Olympischen Spiele in Peking erklärte er, dies sei eine Gewissensfrage für jedes einzelne Land. Grundsätzlich sei die tibetische Exilregierung der Meinung, dass die Olympischen Spiele in Peking stattfinden sollten, "so dass China sich an internationale Regeln und Gesetze halten muss".

Chopel verlangte die Freilassung der nach seinen Angaben mindestens 400 Tibeter, die bei den Protesten der vergangenen Wochen festgenommen wurden. Die Lage in seiner Heimat bezeichnete er als "sehr frustrierend". Bei den Unruhen verletzte Tibeter könnten nicht einmal ins Krankenhaus gehen, weil sie eine Festnahme befürchten müssten. Die Zahl der Todesopfer bezifferte der Parlamentspräsident auf 135. Die Aufstände seien nicht auf Zentraltibet beschränkt. "Sie haben inzwischen auf eine Reihe von Regionen übergegriffen. Die chinesische Polizei kann diese Entwicklung nicht mehr kontrollieren. Deshalb ist das Militär hinzugekommen. Die Tötungen und Massaker gehen weiter." Andere Staaten müssten "endlich eingreifen und untersuchen, was dort passiert". (APA/Reuters/dpa/AP)