Bild nicht mehr verfügbar.

Ein Musik- und Technikbesessener, aber auch ein Freund der luxuriösen Dinge: Herbert von Karajan studiert ein Auto.

Foto: APA

Es war ein kalter Wiener Wintertag, damals 1946, als der Herr mit einer am Schwarzmarkt erworbenen Flasche Whiskey seinen folgenreichen Besuch abstattete. Zielobjekt war ein junger Dirigent, dessen Karriere noch an den Folgen einer doppelten Parteimitgliedschaft bei der NSDAP litt, aber das war wohl kein Thema. Produzent Walter Legge und Herbert von Karajan verstanden einander gut und schlossen eine Partnerschaft, mit welcher der Salzburger seine Dokumentiertätigkeit begann, die mithalf, ihn zum Symbol der klassischen Musik an sich zu machen. Bis 1984 sollte Karajan mehr als 1000 Stunden Musik für die EMI aufnehmen, in Summe hat er mehr dokumentiert (auch bei Decca, Deutsche Grammophon, Sony) als alle anderen Kollegen. Und: Jede technische Errungenschaft - Schallplatte, Stereo, CD und Bildplatte - wurde genutzt. Bis heute macht Karajan ein Drittel des Geschäftes seiner Ex-Firmen aus.

Was Wunder, dass man nun, 2008, da es gilt, seinen 100. Geburtstag zu begehen, eine Flut von Wiederveröffentlichungen angesetzt hat. Die EMI hat einfach alles neu aufgelegt, die Deutsche Grammophon einzeln und in CD-Box-Form Dinge konzentriert, und Sony BMG stürzte sich auf Karajans optische Vermittlungsversuche. Mit dabei (EMI) alle Beethoven-Symphonien (frühe 50er-Jahre), die Karajan aber mehrfach aufgenommen hat. Vergleicht man die frühen wuchtigen Philharmonia-Orchestra-Aufnahmen mit späteren Versionen, sieht man, dass der ohnedies flotte Beethoven-Interpret tatsächlich noch schneller wurde - sogar bis in die Reifephase. Nimmt man die 7. Symphonie her, ist er signifikant flotter als ein Simon Rattle mit den Wienern. Natürlich je später, desto opulenter der Karajan-Klang, desto ausgeprägter der Hang zur Oberfläche und zur Legatosanglichkeit.

Hört man etwa das Mozart-Requiem (aus 1975, Teil der 10-CD-Box der DG), wirkt das schon ziemlich eingedickt und, wiewohl nicht ohne Energie, sehr viel an Dramatik und Details überdeckend. Überzeugend in jedem Fall die Decca-Box (9 CDs) mit Mozart, Brahms, Strauss und Tschaikowsky (zwischen 1959 und 1965 mit den Wiener Philharmonikern aufgenommen). Markant Langsames gibt es auch: EMIs Great Recordings (8 CDs) bringen ein Parsifal-Vorspiel (1974 mit den Berlinern) von extremer Breite.

Die Sony-DVDs schließlich, sie zeigen die optische Seite des späten Karajan. Die Musiker in Nahaufnahme, der Maestro in allen Dirigierlagen - mit geschlossenen Augen, mild strahlend dann wieder und vor allem mystisch versunken, mit den sich gewichtig überkreuzenden Armen. Wirkt eigenartig. Unter dem Deckmantel der optischen Vermittlung von Musik gerät alles eher zu einem Dokument seltsamer Verklärung des Interpreten. Interessanter Versuch aber: Man ging mit den alten Aufnahmen in die Berliner Philharmonie und in den Wiener Musikverein und nahm die Einspielungen mit einer orchesterähnlichen Mikrofonierung neu auf. Dem Alten hätte die Spielerei sicher gefallen. (Ljubisa Tosic / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28.3.2008)