Keine Woche vergeht ohne schlimme Nachrichten von den internationalen Finanzmärkten. Der Zusammenbruch von Bear Stearns, der fünftgrößten Investitionsbank der USA, und die umstrittenen Rettungsoperationen des FED, der amerikanischen Notenbank, gekoppelt mit der schnellsten Reduzierung der kurzfristigen Zinssätze, große Kursverluste an den Aktienbörsen, unaufhaltsamer Kursverlust des Dollars und ein steigernder Goldpreis, die so sichtbare Verschlechterung des Vertrauens der Investoren und die Milliardenabschreibungen führender Banken sind Alarmzeichen. Die Angst vor einem drohenden Kollaps des amerikanischen Finanzsystems samt den möglichen weltweiten Folgen ist das beherrschende Thema in den Wirtschafts- und Finanzbeilagen der Weltpresse.

Es ist wohl eine Ironie der Geschichte, dass an der Spitze der US-Notenbank einer der angesehendsten amerikanischen Wirtschaftsexperten, nämlich jener Princeton-Professor Ben Bernanke steht, der sich ausführlich mit den Fehlern und Versäumnissen beschäftigt hat, die 1929 den Börsenkrach an der Wall Street und schließlich die Weltwirtschaftskrise ausgelöst hatten. Er sei entschlossen, um jeden Preis eine zweite "Große Depression" durch rechtzeitige Zinssenkungen, Geldspritzen und direkte Interventionen wie bei der Absicherung des Ausverkaufs nach der beinahe bankrotten Investmentbank Bear Stearns an den Konkurrenten JPMorgan zu verhindern, heißt es in Washingtoner Finanzkreisen.

Waren aber diese Interventionen des Zentralbankchefs wirklich notwendig? Sein Vor-Vorgänger Paul Volcker und einige Fed-Direktoren sprachen von einer "unangemessenen" Rolle. Der Chef der Wirtschaftsredaktion der Neuen Zürcher, Gerhard Schwarz, warnt, "die fast frivol lockere Geldpolitik" trage "den Keim neuer Krisen in sich". Selbst das konservative Schweizer Blatt, ein unbedingter Gegner der Eingriffe in das Marktgeschehen, gibt aber fast mit knirschenden Zähnen zu, nur der Staat kann das Schlimmste, nämlich den Kollaps des ganzen Finanzsystems verhindern. Allerdings stellte der Wirtschaftshistoriker an der Universität Bielefeld, Werner Abelshauser, zu Recht fest: "Mit Liquidität ist diese Krise nicht zu lösen." Es fehle schließlich nicht an Geld, sondern an Vertrauen innerhalb des Systems. Die Mischung aus exzessiver Gier, ungezügelter Spekulation und fehlender Kontrollmechanismen war für das Bersten der Blase an den Finanzmärkten verantwortlich.

Inzwischen erwartet die Investmentbank Goldman Sachs für die gesamte US-Wirtschaft einen Verlust von über 1,1 Billionen Dollar oder etwa 8 Prozent des Bruttoinlandproduktes. Man muss also in Kauf nehmen, dass die Spekulanten, die unverantwortlichen Gläubiger und die leichtsinnigen Schuldner zumindest teilweise ungeschoren davonkommen und unbeteiligte Sparer, Konsumenten und Investoren massiv geschädigt werden. Vor allem jene Bankmanager und Spekulanten, die nachweisbar einträgliche Geschäfte ohne ausreichendes Risikobewusstsein betrieben haben, können nach wie vor damit rechnen, in einer Krise vom Staat, also von den Notenbanken und Steuerzahlern gerettet zu werden. Die Öffentlichkeit reagiert mit Häme und Wut auf die so offensichtliche Privatisierung der Gewinne und die Sozialisierung der Verluste. Selbst der geschasste Topmanager von Merrill Lynch kassierte zum Beispiel eine Abfindung in der Höhe von 161 Millionen Dollar, obwohl sein Haus im Vorjahr neun Milliarden Dollar verlor. Die Steuerzahler begleichen also stets die Zeche für zügellose Spekulanten. Was aber ein Zusammenbruch des amerikanischen Finanzsystems letzten Endes die ganze Welt kosten würde, mag man gar nicht beziffern. (Paul Lendvai, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 27.03.2008)