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"Ich muss die Mannschaft verjüngen"

Foto: APA/Fohringer
Wien - Das 3:4 des österreichischen Fußball-Nationalteams am Mittwoch gegen die Niederlande hat bei Teamchef Josef Hickersberger Spuren hinterlassen. "Ich bin wahnsinnig enttäuscht, weil ich die Auswirkung auf die Mannschaft spüre", erklärte der 59-Jährige angesichts der Niederlage trotz einer 3:0-Führung. Grund zur Beunruhigung sieht "Hicke" nach zuletzt vier Partien ohne Sieg aber nicht, "denn ich sehe eine Entwicklung, die man auch im Ausland registriert".

Team nach der Pause "wie angeschlagener Boxer"

Die Partie gegen die "Oranjes" verglich Hickersberger mit dem Wetter am Vortag des Spiels, als sich Sonne und Schneeschauer abwechselten. "In der ersten Hälfte hatten wir Sonnenschein, in der zweiten Hälfte hat es uns etwas reingeregnet", resümierte der Niederösterreicher und verglich seine Spieler in der zweiten Hälfte mit einem angeschlagenen Boxer, "der in den Seilen hängt. Wir haben die Hände nicht mehr hochgebracht, um uns zu verteidigen".

Tatsächlich machten die Österreicher gegen den Europameister von 1988 nach dem Seitenwechsel phasenweise den Eindruck, als seien sie stehend K.o. "Wir haben 55, 60 Minuten sehr gut gespielt, sind dann aber nicht mehr in der Lage gewesen, den Vorsprung zu retten. Nach dem 2:3 war es absehbar, dass uns das auf diese Art und Weise nicht gelingen wird. Es ist uns nicht gelungen, höher zu verteidigen, noch dazu haben wir einige Fehler gemacht, und mit solchen Fehlern ist es schwierig, gegen eine Mannschaft wie die Niederlande zu gewinnen", resümierte Hickersberger.

"Nach vorne übernommen"

Der physische Rückfall nach der Pause liegt laut Teamchef auch daran, dass sich manche Kicker in der Anfangsphase zu viel zumuteten. "Die meisten Spieler haben sich nach unseren Toren im Spiel nach vorne übernommen und dabei vergessen, dass ein Spiel 90 Minuten dauert. Das wird aber mit der Erfahrung besser werden."

Die körperlichen Mangelerscheinungen, die schon beim 0:3 gegen Deutschland im Februar offensichtlich waren, seien kein konditionelles Problem, "sondern vielmehr eines der Ökonomie. Die Spieler können sich ihre mentalen und physischen Kräfte nicht so einteilen, dass sie über die volle Distanz kommen", konstatierte Hickersberger, der auf ein Ausschöpfen des Austauschkontingents verzichtete und nur drei neue Spieler brachte, während sein gegenüber Marco van Basten fünfmal wechselte.

"Rhythmus öfter wechseln"

Hickersberger wollte damit nach eigenen Angaben die EURO-Situation simulieren, denn auch bei der EM darf nur dreimal getauscht werden. "Außerdem habe ich es auch deshalb gemacht, damit die Spieler lernen, sich zu überwinden, wenn die Beine schwer werden, und versuchen, von hinten rauszuspielen."

Um bei der Heim-EM Erfolg zu haben, müsse seine Mannschaft lernen, den Ball länger in den eigenen Reihen zu halten und dadurch Kräfte zu sparen. "Es muss uns gelingen, den Rhythmus öfters zu wechseln. Es muss Phasen geben, in denen wir uns auf Ballbesitz beschränken und den Ball laufen lassen", forderte der Nationalcoach.

Positiv: Chancenauswertung

Hickersberger war aber auch bemüht, die positiven Seiten des 3:4 hervorzuheben. So freute er sich über die Effizienz bei der Chancenauswertung, die gegen Deutschland noch gefehlt hatte. "Ich möchte schon registrieren, dass eine junge österreichische Mannschaft gegen Deutschland gut gespielt hat und gegen die Niederlande drei Tore geschossen hat. So etwas passiert den Niederländern auch nicht immer. Das ist eine Entwicklung, die Hoffnung macht."

Entwickelt hat sich tatsächlich eine bemerkenswerte Altersstruktur im ÖFB-Team: In der Anfangsformation stand kein Spieler über 30 Jahre, der Alterschnitt der zu Beginn einlaufenden Feldspieler betrug sogar nur 22,7 Jahre. Wenn Hickersberger auch darauf hinwies, dass der Durchschnitt durch die Ausfälle von Martin Stranzl (27) und Rene Aufhauser (31) etwas hinuntergedrückt wurde, so bekannte er sich dennoch zur Fortsetzung des "jungen Weges". "Ich muss die Mannschaft verjüngen. Wir können nicht ewig mit Mayrleb, Baur oder den Super-Oldies Vastic und Kühbauer weiterspielen. Für den österreichischen Fußball muss es eine Perspektive geben."

Scharners Zug wohl abgefahren

Dass im aktuellen Aufgebot nur wenige Kicker im besten Fußballer-Alter stehen und daher "in dem einen oder anderen Spiel die Altersstruktur nicht gepasst hat" (Hickersberger), rechtfertigte der Teamchef mit internationalen Entwicklungen, die sich maßgeblich auf Transfers in der heimischen Bundesliga auswirkten. "Ich kann nichts für das Bosman-Urteil und dafür, dass dann in der österreichischen Liga drei, vier Jahre lang nur Ausländer geholt wurden."

Zwar nicht direkt auf Paul Scharner angesprochen, erteilte "Hicke" dennoch einer Rückkehr des Wigan-Legionärs eine wohl klare Absage. "Ich glaube nicht, dass der eine oder andere Spieler unsere Probleme lösen könnte, zumindest nicht, ohne negative Folgeerscheinungen nach sich zu ziehen."

Von den Besten lernen

Auch nach den Niederlagen gegen Deutschland und die Niederlande steht für den 59-Jährigen außer Zweifel, dass die Auswahl der Gegner richtig war. "Wir haben gesagt, dass wir von den Besten lernen wollen, deswegen spielen wir gegen sie." Parallelen zum bisher letzten Sieg gegen die "Oranjes" im Mai 1990, als Österreich nach einer 3:0-Führung noch ein 3:2 über die Zeit rettete, wollte Hickersberger nicht ziehen. "1990 war Steinzeit, diesen Fußball gibt es heute nicht mehr, Gott sei Dank. Heute geht es permanent rauf und runter."

Das ÖFB-Team geht nun in eine mehrwöchige Pause. Wenige Tage vor der letzten Liga-Runde am 26. April wird Hickersberger einen EM-Groß-Kader von rund 30 Spielern bekanntgeben. Wohl ausschließlich die darin enthaltenen T-Mobile-Kicker heben am 5. Mai zu einem fünftägigen Trainingslager nach Sardinien ab, alle Legionäre (außer Ivanschitz oder Macho werden in Griechenland Meister) stoßen erst Mitte Mai zum Team. Die letzten beiden Testspiele vor der EURO steigen am 27. Mai gegen Nigeria und am 30. Mai gegen Malta jeweils in Graz, am 28. Mai nominiert Hickersberger das definitive 23-Mann-Aufgebot für die Heim-EM.(APA)