Der Pirarucu-Experte Leandro Castello mit seinem Studienobjekt an Land. Der Fisch wird es überleben, da er eine Lunge besitzt.

Foto: Castello
Manaus - Juni am Amazonas. Das Hochwasser hat den Fluss in den Dschungel eindringen lassen, nun kann man dort im Kanu spazieren fahren. Plötzlich gleitet ein riesiger Schatten im Wasser vorbei. Ein Kaiman? Nein, ein Arapaima gigas, vor Ort bekannt als "Pirarucu", ein Fisch von fast mythischem Ruf.

Pirarucus sind faszinierende Geschöpfe. Ausgewachsene Exemplare können über drei Meter lang werden bei einem Gewicht von gut 200 Kilo. Weil das warme Wasser ihres natürlichen Lebensraumes regelmäßig unter Sauerstoffmangel leidet, hat die Evolution die Riesenfische mit einer Besonderheit ausgestattet: Sie atmen Luft. Die Schwimmblase von Arapaima gigas funktioniert wie eine primitive Lunge. Alle fünf bis 15 Minuten steigen die Tiere zum lautstarken Luftholen an die Wasseroberfläche. Können sie dies nicht, so ertrinken sie.

Für Fischer ist Arapaima gigas eine begehrte Beute. Man harpuniert die Tiere beim Luftschnappen. Ihre Filets sind wohlschmeckend und grätenfrei. In vielen Gebieten des Amazonas stellt der Pirarucu die wichtigste Einnahmenquelle der Fischer dar. Oder stellte. Mancherorts wurde die Art schon praktisch ausgerottet.

Über den Pirarucu war lange nur wenig bekannt. Der argentinische Biologe Leandro Castello konnte nun als Ergebnis seiner jahrelangen Forschungen im brasilianischen Mamirauá-Reservat wichtige Lücken zur Biologie von Arapaima gigas schließen. So gelang ihm u. a. durch genaue Beobachtung, die Wanderbewegungen der Riesen im jahreszeitlichen Rhythmus präzise zu erfassen ("Ecology of Freshwater Fish", Bd. 17, S. 38).

Pirarucus legen keine großen Distanzen zurück wie Lachse oder andere Wanderfische. Stattdessen folgen sie dem Flusspegel. Sobald das Wasser im Frühling ansteigt, dringen die Tiere paarweise in die überfluteten Bereiche ein. Dort graben sie Nester in Form runder Gruben im Sand aus und laichen darin. Der Nachwuchs wird dann von einem Elternteil - meist dem Männchen - geleitet.

Insekten, Schnecken und anderes Getier, aber auch fallende Früchte stellen für viele Fischarten ein reichhaltiges Futterangebot dar. Der Pirarucu-Vater führt seinen Nachwuchs geradewegs in dieses Schlaraffenland. Die Jungen wachsen extrem schnell. Schon nach einem Jahr sind sie knapp einen Meter lang.

Erwachsene Arapaima gigas jagen ähnlich wie europäische Hechte. Die Räuber lauern oder kreuzen langsam umher und verfolgen ihre Opfer als Sprinter. "Sie können auf kurzer Distanz erstaunlich schnell schwimmen", berichtet Leandro Castello im Gespräch mit dem Standard. Im Maul verfügt der Pirarucu übrigens über eine furchterregende Waffe: seine knöcherne Zunge. Letztere ist so hart, dass selbst gepanzerte Welse problemlos zermalmt werden. (Kurt de Swaaf/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 29./30. 3. 2008)