Bärbl Reistenhofer, Maija Eltz und Maria Theresia Rieger (v. li.)

Bärbl Reistenhofer (45) promovierte 1992 an der Med-Uni Wien und war bis 2000 an der Abteilung für Kieferorthopädie tätig. Sie ist unter anderem auf Lingual-Orthodontie spezialisiert, ist zertifizierte Invisalign-Expertin und arbeitet seit 1998 in der einer eigenen Praxis.

Maija Eltz (49) ist Fachärztin für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, seit 1995 widmet sie sich schwerpunktmäßig der Kieferorthopädie. Sie ist in Parodontalchirurgie und Implantologie ausgebildet. Eltz' Spezialgebiet sind selbstligierende, interaktive Brackets.

Maria Theresia Rieger (53) hat ihr Medizinstudium 1980 an der Med-Uni Wien abgeschlossen und ist seit 1986 Zahnärztin mit Schwerpunkt Kieferorthopädie. Ihr Spezialigebiet ist die Sato-Technik. Seit 2006 hat sie eine Praxis mit Erwin Achter in Wien.

Foto: Standard/Regine Hendrich

Die Kieferorthopädinnen Bärbl Reistenhofer, Maija Eltz und Maria Theresia Rieger diskutieren über neue Methoden bei Regulierungen und über Form, Funktion und Modeerscheinungen bei Zähnen. Das Gespräch moderierte Karin Pollack.

STANDARD: Fast die Hälfte aller Jugendlichen trägt eine Zahnspange. Was passiert eigentlich, wenn man nicht reguliert?

Rieger: Ein Gebiss mit Fehlfunktion verursacht drei mögliche Schäden: eine Abnutzung der Zahnsubstanz, Parodontose oder Schäden im Kiefergelenk. All das kann mit fortschreitendem Alter eintreten.

Eltz: Wenn eine Zahnfehlstellung für eine Funktionsstörung verantwortlich ist, ist das immer ein Problem. Es kommt zu Fehlbelastungen und Abnützungserscheinungen.

STANDARD: Gibt es bei Zahnregulierungen eine beste Methode?

Reistenhofer: Generell lässt sich das so nicht beantworten. Es gibt immer nur eine individuell beste Methode. Jedes Gebiss ist ein Fall für sich, wir wissen, welche Methode für welche Art der Fehlstellung die besten Resultate bringt. Bevor wir uns aber für eine Methode entscheiden, gilt es auch noch den Zustand von Zahn, Zahnhalteapparat und Kiefergelenk von Patienten und deren ästhetische Belastbarkeit zu eruieren.

Eltz: Jeder Kieferorthopäde lernt im Zuge seiner Ausbildung mehrere Behandlungsmethoden, wobei jede neue Methode eine Weiterentwicklung vorangegangener Methoden ist. Angewendet wird dann für den Patienten die am besten geeignete Technik. Selbstligierende Brackets gehören sicherlich zu einer der patientenfreundlichsten Methoden der letzten zehn Jahre. Die Kraft, um die Zähne zu verschieben, ist hier geringer, weil auch Gesichtsmuskulatur und Zungenfunktion ausgenutzt werden. Der Kiefer bewahrt also seine natürliche Form.

Rieger: Es gibt verschiedene Wege, die nach Rom führen. Als besonders innovativ ist für mich die Sato-Methode, weil sie Patienten das Extrahieren von Backenzähnen erspart. Vor allem bei Zahn-Engständen ist das ein Thema. Mit der Sato-Methode lassen sich Kieferfehlstellungen etwa Vorbisse, Rückbisslage und offene Bisse regulieren, bei denen früher Operationen notwendig waren.

Reistenhofer: Da stimme ich zu, trotzdem muss man von Fall zu Fall entscheiden. Die Sato-Methode ist toll, allerdings in ästhetischer Hinsicht beeinträchtigend und deshalb nicht jedermanns Sache. Manchmal lässt sich auch das Ziehen von Zähnen einfach nicht vermeiden.

STANDARD: Wie groß ist die Scheu vor der ästhetischen Beeinträchtigung?

Reistenhofer: Die ist da, zweifellos. Erwachsene haben mehr Bedenken als Jugendliche. Oft haben auch die Partner ein Problem. Das ist einfach so. Da bieten wir dann die Lingualtechnik, also die Brackets an der Zahninnenseite, an. Bei leichteren Zahnfehlstellungen gibt es Invisalign, das sind durchsichtige Schienen, die wirklich aber auch rund um die Uhr getragen werden müssen. Alle meine Invisalign-Patienten sind begeistert von diesem System, weil es unsichtbar ist und in so einer Art Punktesystem wirklich zum Mitmachen motiviert.

Eltz: Meine Patienten bekommen nahezu durchsichtigen Brackets. Die meisten sind junge Erwachsene, viele stehen in der Öffentlichkeit und finden die Ästhetik akzeptabel. Und die Tragedauer wird ja immer kürzer. Das ist auch der Grund, warum immer weniger herausnehmbare Zahnspangen gemacht werden. Die Relation stimmt nicht. Herausnehmbare Zahnspangen musste man mitunter fünf Jahre lang tragen, mit fixen Brackets dauert die Behandlung vielleicht nur ein Jahr. Zum Thema Invisalign will ich nur sagen: Klar ist das eine Option, allerdings nicht für Jugendliche. Man braucht viel Selbstdisziplin.

Rieger: Nach umgehender Aufklärung über das Drahtdesign akzeptieren die Patienten den Sato-Draht.

STANDARD: Was sind die häufigsten Fehlstellungen?

Rieger: Sogenannte Klasse-2-Verzahnungen, ein Rückverlagerung des Unterkiefers, andere haben das Oberkiefer zu weit vorn, und viele haben eine Kombination aus beidem. Häufig ist auch die Klasse-3-Verzahnung, der Vorbiss des Unterkiefers, das Habsburger-Gebiss. Da ist eine Regulierung unvermeidbar.

STANDARD: Ab wann?

Rieger: Es gibt wenige Fälle, bei denen man im frühen Kindesalter beginnen muss. Das ist eigentlich beim Zwangsbiss, Kreuzbiss und Vorbiss des Unterkiefers erforderlich. Mein jüngster Patient ist drei Jahre. Bis in die 70er-Jahre glaubte man ja, Schädel und Gesicht seien rein genetisch determiniert. Studien in Ann Arbour/Michigan haben das widerlegt und die Umwelteinflüsse in die Betrachtungen mit integriert. Bei einem Kind kann ich die Gesichts- und Schädelentwicklung durch eine Zahnspange beeinflussen.

Eltz: Nur um Grundsätzliches zu betonen: Kinder, die – weil sie Allergiker sind oder Polypen haben – nicht durch die Nase, sondern immer nur durch den Mund atmen, bilden eine Fehlstellung aus. Da liegt die Zunge nicht richtig am Gaumen, es schluckt nicht richtig, und das wirkt sich fatal aus. Der Kiefer ist eben nicht nur ein Knochen, sondern wird durch Gesichtsmuskulatur und Zunge maßgeblich geprägt.

Reistenhofer: Aber die meisten festsitzenden Kieferregulierungen beginnen dann, wenn alle bleibenden Zähne da sind. Also ab zirka zwölf Jahren.

STANDARD: Und wie lange dauert eine Behandlung durchschnittlich?

Eltz: Mit neuen Methoden nicht länger als ein- bis eineinhalb Jahre.

STANDARD: Müssen jetzt alle, bei denen es länger dauert, fürchten, nicht gut behandelt zu sein?

Reistenhofer: Nein, auch ich behandle zwar zwischen eineinhalb und zwei Jahren, kenne aber auch wie Kollegen den Hang zur Perfektion. Man will eben ein perfektes Gebiss liefern. Da kann es um einiges länger dauern. Für die Behandlungsdauer ist aber auch das Engagement von Patienten wichtig. Termine nicht einhalten führt zu Verzögerungen.

Eltz: Auch Brackets müssen pfleglich behandelt werden. Wer in eine Karotte beißt, kann sich die Brackets ruinieren. Auch das kostet Zeit.

STANDARD: Können sich Patienten bei Ihnen auch Dinge wünschen?

Reistenhofer: Das ist eine Frage, mit der wir immer wieder konfrontiert sind. Schwierig wird es, wenn ärztliches Wissen gegen Patientenwünsche steht.

Eltz: Da sollten wir unserer ärztlichen Berufung verpflichtet sein. Die Funktion des Kiefers steht im Vordergrund.

Rieger: Die Frage ist heikel, doch wenn man auf Patientenwünsche eingeht, kann das ja fatale Folgen haben, die Laien niemals abschätzen können. Ich mache keine halben Sachen, die fallen einem auf den Kopf.

STANDARD: Gibt es tatsächlich Trends?

Reistenhofer: Klar, Hollywoodstars aus den 50er-, 60er- und 70er-Jahren hatten Zähne wie Klaviertastaturen. Heute will man das volle Lachen, Claudia Schiffer und ihre etwas längeren Schneidezähne sind eine Art Vorbild. Sie symbolisieren Jugendlichkeit. Bei der Beurteilung von Schönheit spielen Zähne ja eine ganz wichtige Rolle, und zwar unbewusst. Eckzähne zum Beispiel stehen für Vitalität. Wer sich die abschleifen lassen will, den versuche ich vom Gegenteil zu überzeugen.

Eltz: Aber es ist auch ein Frage der Methoden, wie Zähne aussehen. Früher mussten bei Engständen Zähne gezogen werden. Dadurch stützen Zähne dann auch die Lippen weniger. In den USA lassen sich Frauen Zähne wieder reimplantieren, denn volle Lippen wirken jugendlich. In Zeiten der Schönheitschirurgie ist das normal.

Rieger: Was man nicht vergessen darf: Heute haben viele Menschen bereits regulierte Zähne. Die, die das nicht haben, fallen mehr auf. Zähne sind ein sozialer Faktor.

STANDARD: Verschieben sich regulierte Zähne wieder?

Eltz: Wir arbeiten mit Retainern, einem Draht, der nach Abschluss an die Innenseite der Zähne geklebt wird. Je kürzer die Behandlungsdauer, umso akribischer muss die Retention sein, das ist das Grundprinzip. Die Tendenz der Zähne, sich nach der Behandlung zu bewegen, ist umgekehrt proportional zur Behandlungsdauer. Nach drei Jahren Brackets ist alles fix, nach acht Monaten nicht.

Reistenhofer: Im Durchschnitt tragen Patienten den herausnehmbaren Retainer ein Jahr, den an der Innenseite der Schneidezähne fixierten Draht viel länger. Wichtig ist: Der Biss muss passen, dann ist auch die Ästhetik so, wie man sie will.

STANDARD: Ist der Kiefer also viel mehr mit dem ganzen Körper verbunden, als man denken könnte?

Rieger: Genau. Das ganze System hängt zusammen. Ein Mensch mit Kreuzbiss hat oft auch eine Beckenschiefstellung, und das wiederum löst Rückenbeschwerden aus, weil die Wirbelsäule betroffen ist. Zudem müssen rechte und linke Körperhälften im Gleichgewicht sein, sonst versucht der Körper automatisch immer auszugleichen. Irgendwann schafft er das nicht mehr. Und das verursacht Probleme. Auf dem Kieferorthopädischen Symposium in Kitzbühel hat der Erfinder der Sato-Methode klargemacht, dass Fehlbisse, die zu Dysfunktion des Kiefers führen, auch abnorme Gehirnfunktionen und neuromuskuläre Störungen verursachen und sich auf den gesamten Körper auswirken können. (DER STANDARD, Printausgabe, 31.3.2008)