Eine "Jahrhundertreform" heißt in Österreich erfahrungsgemäß so, weil 100 Jahre an einem Provisorium herumgedoktert wird, bis es in korrekte Rahmenbedingungen gegossen worden ist. Gut, bei der Änderung der Strafprozessordnung war man vergleichsweise flott, nach 30 Jahren Debatte ist die Sache seit 1. Jänner in Kraft. Obwohl: die übrigen 70 Jahre wären vielleicht nötig gewesen, um die Vorbereitung einer Reform in einem so einschneidenden Bereich wie den polizeilichen Befugnissen und dem Strafprozess insgesamt zu ermöglichen.

Man muss nicht sonderlich polemisch sein, um eine Überforderung zu konstatieren. Das beginnt bei Grundsätzlichem: Da letzte gesetzliche Änderungen erst spät veröffentlicht worden sind, erreichten erste Handbücher die Juristen erst, als die Reform schon in Kraft war. Dass die Personaldecke in den Kanzleien dünn wird, wenn plötzlich der dreifache Bedarf herrscht, hätte man sich auch schon früher ausrechnen können.

Heikel

Und die E-Mail-Misere zwischen Polizei und Justiz? Soll daran liegen, dass die Polizei erst im November erfahren hat, dass nicht 2009, sondern schon Jänner 2008 der Starttermin für den "elektronischen Akt" ist. Wirklich heikel wird es schließlich bei der Tatsache, dass zwar nun Verdächtige beim ersten Verhör einen Anwalt dabeihaben dürfen; es gleichzeitig aber keinen anwaltlichen Notdienst gibt, den man anrufen könnte; weil die Finanzierungsverhandlungen noch dauern.

Keine Frage, die Reform an sich ist ein echter Fortschritt. Doch wenn das nächste "Jahrhundertprojekt", die Änderung des Hauptverfahrens, auch so vorbereitet wird, sollte man die Gerichte besser drei Monate zusperren und im Trockentraining betreiben, um einen reibungslosen Übergang zu ermöglichen. Oder sich einfach ein Jahr länger Zeit lassen. (Michael Möseneder, DER STANDARD Printausgabe, 2.4.2008)