Wien/Budapest – Lang ist es her, dass Ungarn das wirtschaftliche Wunderkind der Region war. Aber auch die Jahre der „abenteuerlichen Wirtschaftspolitik“, wie es der Wiener Wirtschaftsforscher Sándor Richter formuliert, sind passé. Das Budgetdefizit des Landes wurde im Vorjahr von der eben zerbrochenen Regierung zwar auf 5,5 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung des Landes reduziert – von haarsträubenden 9,2 Prozent im Jahr 2006.

Durch die stark eingeschränkten öffentlichen Ausgaben wurde aber auch das Wirtschaftswachstum stark eingebremst: auf 1,3 Prozent im Vorjahr, heuer erwartet Richter, Ungarnexperte am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW), 2,5 Prozent Wachstum. Dies liegt immer noch weit unter den sensationellen Raten, die der dynamische Nachbar Slowakei, einst quasi das Schmuddelkind der Region, erreicht. Dort stieg das Bruttoinlandsprodukt (BIP) heuer um 10,5 Prozent.

„Preis der Normalisierung“

„Ungarn zahlt jetzt den Preis der Normalisierung“, resümiert Richter. Er ist aber skeptisch, ob ohne weitere Reformen die Gesundung des magyarischen Staatshaushaltes nachhaltig ist. „2010 sind wieder Wahlen, und vor Wahlen ist es immer eine Katastrophe.“ „Steuerzuckerln und Geschenke“ hätten schon zuvor das Land an den Rande des finanziellen Desasters geführt. Übrigens jenes Desaster, zu dem Premier Ferenc Gyurcsány im Jahr 2006 in seiner berühmt-berüchtigten Rede vor Fraktionskollegen eingestand (die Rede kam auf verschlungenen Wegen an die Öffentlichkeit), die Einwohner des Landes belogen zu haben (darauf kam es zu schweren Ausschreitungen in der Hauptstadt Budapest).

Gesundheitsreform regt auf

Wichtigstes Thema derzeit in Budapest ist die Gesundheitsreform. Im Vormonat verdammten 80 Prozent der Wähler die Pläne der Regierung Gyurcsány in einem Referendum, an dem sich mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten beteiligt hatten. Der Plan wäre gewesen, für Arztbesuche eine Gebühr einzuheben, 300 Forint pro Person und Besuch, umgerechnet derzeit 1,16 Euro. Aber auch diese kleine Summe verärgert die von seit Jahren von Sparpaketen geplagten Ungarn zutiefst. Das Ergebnis war eine bittere Niederlage für die Regierung aus Sozialisten und Liberalen sowie ein Triumph für die oppositionelle rechtskonservative Partei Fidesz.

Es ist nun sehr fraglich, wie Gyurcsány mit einer Minderheitsregierung die Gesundheitsreform weiterbringen will und kann. Experten rechnen mit Aufschub, bestenfalls kompletten Neuverhandlungen. Eine wichtige Strukturveränderung bleibt damit weiterhin ungeschehen.

Heuer und im kommenden Jahr sieht Wirtschaftsforscher Richter jedoch einige positive Momente für die ungarische Entwicklung: Erstens erhole sich die Landwirtschaft wieder von den Unwetterschäden des Jahres 2006, auch die darniederliegende Bauwirtschaft komme langsam wieder in die Gänge. Außerdem würden die EU-Gelder aus den Förderprogrammen für 2007 bis 2013 beginnen ihre Wirkung zu tun.

Die aktuelle Finanzkrise könnte den ungarischen Staat stark treffen, weniger den privaten Sektor: Denn die Zinsen inklusive der „Risikoprämien“, die der ungarische Staat den Zeichnern seiner Anleihen bezahlen muss, steigen zuletzt steil aufgrund der von der Ramschkredit-Krise („Subprimes“) in den USA ausgehenden Unsicherheiten auf den Kapitalmärkten. Die Kurse der Staatsanleihen fallen deswegen stark, was die ungarische Notenbank dazu veranlasste, den Leitzins von 7,5 auf 8,0 Prozent zu erhöhen. (Leo Szemeliker/DER STANDARD, Printausgabe, 3.4.2008)