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Die beiden Kapitäne im ungleichen Duell: Der rot-weiß-rote Sindelar düpiert papieren ein ums andere Mal den weiß-schwarzen Münzberg.

Foto: APA/ Graf
Wien - Eines der wohl wichtigsten Spiele, die das österreichische Nationalteam je bestritten hat, scheint in den offiziellen Statistiken gar nicht auf. Es ging heute vor genau 70 Jahren über die Bühne. Als "Anschlussspiel" verzeichnen es die einschlägigen Geschichtsbücher, und die haben in das Match so viele Legenden und Mythen hineingestopft, dass davon die ganze Zweite Republik generationenlang ihr ideologisches Herumgeeiere beziehen konnte.

Am 12. März 1938 waren die Nazis einmarschiert, am 10. April sollte die Volksabstimmung über den "Anschluss" stattfinden, und am 3. April war, als Teil des diesbezüglichen Propaganda-Trommelfeuers, das "Versöhnungsspiel" zwischen einer Auswahl des DFB und der "Ostmark" im Praterstadion angesetzt. Vor 58.000 Zuschauern, darunter der Reichssportführer Hans von Tschammer und Osten, der den Kickern zuvor zu verstehen gegeben haben soll, dass Berlin sich ein klassisches Remis wünschen würde.

Die Demütigung

Es wurde ein 2:0 der "Ostmärker", nach einem für die Deutschen sehr schmeichelhaften 0:0 zur Pause. Besonders Matthias Sindelar hatte ein ums andere Mal so sehr Chancen vernebelt, dass die Absicht der Demaskierung und Demütigung unübersehbar war. In der 62. Minute konnte er aber nicht anders, als einen abgeprallten Schuss von Rapids Franz Binder zu versenken. Und als Karl Sesta - den Tschammer und Osten bald suspendierte, weil er Reichstrainer Sepp Herberger das Arschlecken angeschafft hatte - in der 71. Minute aus 50 Metern den etwas dislozierten Tormann Jacob überhob und auf 2:0 stellte, war die Legende vom Wiener Widerstandsgeist fertig erzählt.

Einer der Kernpunkte: Auf Sindelars besonderen Wunsch trat die "Ostmark" in Rot-Weiß-Rot an, heute tatsächlich die Heimdress des Teams. Damals aber war dieses Rot-Weiß-Rot die klassische Auswärtsmontur. Daheim kickten die Österreicher im noch klassischeren Weiß-Schwarz. Die Deutschen aber auch. Und so bekam die Dressenfrage tatsächlich eine politische Note, allerdings umgekehrt, sozusagen. Die Frage war: Wer ist Hausherr in Wien? Die Nazis, mit der Macht der Symbole genauso vertraut wie mit der des Faktischen, steckten die "Ostmärker" beinahe folgerichtig ins Auswärtstrikot.

Dass Österreich an diesem Tag gewann, war freilich weder eine aus dem Widerstand geborene Sache noch eine Überraschung. Deutschland hatte sich, im eigenen Saft des Amateuraposteltums schmorend, ein recht stupid inspiriertes 3-2-2-3 verordnet. Österreich, gestählt in unzähligen Vergleichskämpfen mit den Besten der Besten, agierte im flexiblen 2-3-2-3 mit spielgestaltendem Centerhalf (in diesem Fall dem illegalen SA-Mann Hans Mock übrigens) und hängenden Verbindern.

Die mythische Kraft entfaltete das Spiel freilich erst in Paris, wo Emigranten wie Friedrich Torberg und Alfred Polgar gierig - und ein wenig leichtgläubig - auf Nachrichten aus der Heimat warteten.

Auf Nachrichten, die eventuell belegen mochten, dass ihr Wien mit dem aktuellen möglicherweise doch noch irgendwas gemein haben könnte. Aus diesem nachvollziebaren Wunsch ergab sich so manches Missverständnis, das dann die Zweite Republik zu ihrer eigenen Gründungslüge weitergesponnen hat. (Wolfgang Weisgram, DER STANDARD, Printausgabe, Donnerstag, 3. April 2008)

"Ostmark": Platzer (Admira); Sesta (Austria), Schmaus (Vienna); Wagner (Rapid), Mock (Austria), Skoumal (Rapid); Hahnemann (Admira), Stroh (Austria), Sindelar (Austria/Kapitän), Binder (Rapid), Pesser (Rapid)