In kaum einem Wirtschaftsbereich haben sich in der letzten Zeit die Rahmenbedingungen so fundamental geändert wie in der Landwirtschaft. Wer spricht noch von Milchseen, wer erinnert sich noch an Butterberge und übervolle Weizenlager? Diese Zeiten sind vorbei, und man wagt zu sagen: für viele kommende Jahre, wahrscheinlich Jahrzehnte. Steigende Weltbevölkerung, mehr Fleischkonsum, der wiederum mehr Futtergetreideanbau benötigt, sowie agrarische Energieträger werden dafür sorgen, dass der Bedarf nicht abreißt und die Preise auch in Zukunft hoch bleiben.

Es ist hoch an der Zeit, Lebensmittelversorgung und Landwirtschaft unter diesen geänderten Vorzeichen neu zu diskutieren. Etwa die europäische Agrarpolitik, die nur im Verwalten von Butterbergen und Milchseen (früher) sowie dem Bezahlen ihrer Bauern für wenig greifbare Umweltleistungen (heute) Erfahrungen hat.

Weltweit ist es zu einem Liberalisierungsschub in der Agrarwirtschaft gekommen, der vor den Toren Europas nicht haltgemacht hat. Die von ihren Mitgliedern und der Welthandelsorganisation WTO gewünschte Öffnung des europäischen Agrarmarktes (keine Überschussaufkäufe; keine subventionierten Exporte) hat es zusammen mit schlechten Ernten mit sich gebracht, dass es kaum mehr Bevorratung gibt. Nach nur einem Jahr schlechter Ernten zeigt sich aber, dass eine - zugegebenermaßen teure - Lagerhaltung schon auch ihren Sinn hatte. Sei es, um damit in Europa zu steuern, sei es, um damit den Entwicklungsländern auszuhelfen, die damit Probleme haben, sich teuer auf dem Weltmarkt einzudecken.

Die Lehren aus den letzten eineinhalb Jahren ist folgende: Der alte, vielleicht konservative Ansatz, eine Landwirtschaft nicht zu sehr dem Spielball der Märkte auszusetzen, gewinnt neue Bedeutung. Nur wenigen ist damit gedient, wenn sich angesichts des weltweiten Agro-Booms eine Landwirtschaft entwickelt, die ausschließlich darauf beruht, dass derjenige das Geschäft macht, der billiger anbieten kann. Dies forciert eine auf Export orientierte Landwirtschaft in den Entwicklungsländern; dies wirft diejenigen Bauern zurück, die in ungünstigeren Lagen in kleineren Einheiten produzieren.

Die Landwirtschaft nur Marktmechanismen zu unterwerfen heißt, große Strukturen zu begünstigen, wo mit chemisch-gentechnischem Einsatz und mit schlechten Arbeitsbedingungen der Landarbeiter gegen Wasser- und Ökosysteme gewirtschaftet wird.

Die Gefahr einer kapitalistisch-entfesselten Landwirtschaft wird derzeit noch stärker. Bei der Produktion von Agrarsprit glaubt man von vornherein gewisse Standards, die bei der Lebensmittelherstellung vielleicht noch eingehalten werden, beiseite schieben zu können. Und eine großindustrielle Agrosprit-Branche macht das Rennen.

Da sind ein paar Milchseen und Weizensilos noch besser. (Johanna Ruzicka, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 7.4.2008)