Mediziner und Wissenschafter aus verschiedenen Jahrhunderten, die Krankheiten oder Methoden ihren Namen gaben. Im Uhrzeigersinn von links oben: Maria Teschler-Nicola, Alois Alzheimer, Leopold Auenbrugger und James Parkinson, Theodor Billroth, Hans Asperger und Ignaz Semmelweis.

Foto: wien.gv.at, Med-Uni Wien
Mindestens 15.000 Krankheiten, Syndrome und Methoden sind nach Medizinern benannt. Vor allem psychische Störungen tragen die Namen von Ärzten. Angeführt wird die Herkunftsliste der Namensgeber erwartungsgemäß von den USA, Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Doch schon an fünfter Stelle taucht Österreich auf. Die Blütezeit der Entdeckung und Beschreibung neuer Krankheiten lag nämlich im späten 19. und frühen 20.Jahrhundert, was sich ziemlich genau mit jener Epoche deckt, in der die Wiener Medizin Weltgeltung hatte.

Die Namensgeber und ihre Entdeckungen zu erfassen, hat sich die norwegische Website Whonamedit.com zur Aufgabe gemacht. Viele der sogenannten Eponyme sind wenig bekannt oder finden nur in bestimmten Teilen der Welt Verwendung. So manchem berühmten Medicus werden dafür gleich mehrere Leiden und Methoden zugeschrieben.

Große Söhne

Von den 3188 bisher aufgeführten Namensgebern ordnet Whonamedit.com 150 Österreich zu. Darunter finden sich auch einige Ungarn, Polen, Tschechen und Rumänen, die zu k.u.k.-Zeiten in Budapest, Lemberg, Prag oder Bukarest wirkten, oder die, wie der Deutsche Theodor Billroth, einen Teil ihrer akademischen Laufbahn in Wien absolvierten.

Gerade mal ein Dutzend der gelisteten Österreicher sind im 20.Jahrhundert geboren. Am jüngsten und zugleich die einzige Frau ist Maria Teschler-Nicola. Die 1950 geborene Anthropologin hat maßgeblich zum Nachweis einer Chromosomenveränderung beigetragen. Das Teschler-Nicola-Syndrom (auch Killian- oder Pallister-Syndrom) bringt schwere muskuläre und organische Fehlbildungen mit sich. In der Genetik wird noch gerne zu Eponymen gegriffen. Andere Fächer ziehen heute beschreibende Bezeichnungen vor. So läuft eine der Krankheiten, die ursprünglich nach dem französischen Neurologen Jean-Martin Charcot benannt waren, heute unter der Abkürzung ALS für Amyotrophe Lateral-Sklerose.

Der Früheste

Der früheste auf der Whonamedit-Seite verzeichnete Österreicher ist Leopold Auenbrugger (1722-1809). Von seiner Prominenz können Seitenblicke-Ärzte von heute nur träumen: Auenbrugger war Hofarzt von Maria Theresia, schrieb Operntexte für Antonio Salieri, dem er auch als Trauzeuge verbunden war, war mit Joseph Haydn befreundet und Vater einer begabten, aber tragisch jung verstorbenen Komponistin und Pianistin. Vor allem jedoch hinterließ er uns das Abklopfen der Brust. Auenbruggers Perkussion revolutionierte die Entdeckung von Lungenkrankheiten, wurde aber erst mit Jahrzehnten Verspätung von seinen zögerlichen Kollegen aufgegriffen.

Der Tragischste

Der tragischste Eintrag auf der Österreicher-Liste ist Ignaz Semmelweis gewidmet. Er entdeckte, dass die Fälle von Kindbettfieber, die sich in den 1840er-Jahren in Wien häuften, durch die Ärzte selbst verursacht wurden, weil sie nach Untersuchungen an Kranken oder Leichen ihre Hände nicht desinfizierten, bevor sie Entbindungen vornahmen oder frisch entbundene Mütter untersuchten. Statt Semmelweis' Vorbild zu folgen und in den Chlorkalk zu greifen, verunglimpfte die Ärzteschaft ihn als Nestbeschmutzer. Im englischsprachigen Raum wird daher vom Semmelweis-Reflex gesprochen, wenn eine wichtige Information oder Entdeckung ohne jede Prüfung des Sachverhalts als unsinnig abgetan wird.

Auch Hans Asperger (1906-1980) hat im eigenen Land weniger Anerkennung gefunden als anderswo. Zumindest insofern, als es im englischsprachigen Raum schon länger üblich ist, das nach dem Wiener Kinderarzt benannte Syndrom von frühkindlichem und anderen Formen des Autismus zu unterscheiden. In den USA ist Asperger inzwischen eine Modediagnose für Launenhaftigkeit und exzentrisches Verhalten, gilt als Begleitphänomen einer Hochbegabung und wird mit reihenweise Überleistern von Albert Einstein bis Bill Gates in Zusammenhang gebracht.

Über die Namensgeber zwölf bekannter psychischer Leiden hat Douwe Draaisma, der in Groningen Psychologiegeschichte lehrt, ein lesenswertes Buch verfasst. In "Geist auf Abwegen" beschreibt er, wie es zu einer Benennung kommt: Ein Wissenschaftler müsse eine hinreichende Zahl von Fällen möglichst ausführlich dokumentieren, am besten auch Experimente durchführen, die beeinflussende Faktoren nachweisen oder abgrenzen, und daraus ein Erklärungsmodell ableiten. Dann kommen oft Einwände, dass das beschriebene Phänomen anderen, bereits bekannten Krankheiten zuzuordnen sei. Wenn diese abgewehrt sind, muss schließlich eine Autorität des Fachgebiets vorschlagen, das Krankheitsbild mit dem Namen des Autors zu verbinden. Was noch nicht gewährleistet, dass sich dieses Eponym dann auch durchsetzt.

Die Dynamik

Während bei Parkinson oder Alzheimer Jahrzehnte vergingen, bis die Namen und mit ihnen verbundenen Diagnosen in der Ärzteschaft Fuß fassten, ging es bei Asperger relativ schnell. Erst 1981, also ein Jahr nach seinem Tod, hat die englische Psychiaterin Lorna Wing die Benennung vorgeschlagen. Dabei war ihr nicht bewusst, dass Asperger eine Vorläuferin hatte. 18 Jahre vor ihm hatte eine russische Neurologin namens Ewa Sucharewa sechs Fälle überdurchschnittlich intelligenter Buben, die nicht mit anderen Kindern spielten und lieber in ihrer eigenen Welt lebten, beschrieben. Doch wie der Statistiker Stephen Stiglitz meint und zum Stiglitz-Gesetz erhoben hat, gibt es keine wissenschaftliche Entdeckung, die nach ihrem ursprünglichen Entdecker benannt ist. Das hatte freilich der Soziologe Robert Mertin vor ihm und vorsichtiger formuliert: Zugeschrieben wird dem Bekanntesten, der in Frage kommt.

Douwe Draaisma: Geist auf Abwegen. Alzheimer, Parkinson und Co. Von den Wegbereitern der Gehirnforschung und ihren Fällen. Aus dem Niederländischen von Verena Kiefer und Stefan Häring. Eichborn Berlin 2008, 367 S., € 20,50. (Stefan Löffler, DER STANDARD, Printausgabe, 7.4.2008)