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Premier Recep Tayyip Erdogan: Revancheakt diskreditiert AKP.

Foto: AP/Ibrahim Usta
Das Verbotsverfahren gegen die regierende Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) von Premier Recep Tayyip Erdogan wird offenbaren, ob die türkische Justiz europäische Standards einhält.

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Für viele türkische Politiker und Beobachter war es ein Déjà-vu, als das Verfassungsgericht vergangene Woche den Antrag auf ein Parteiverbotsverfahren annahm. Seit 1963 wurden in der Türkei 44 Parteien verboten. Darunter drei islamisch-fundamentalistische, zuletzt 2001 die Tugendpartei. Die Tugendpartei hatte damals 102 der 550 Parlamentssitze inne, die Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) von Premier Recep Tayyip Erdogan, gegen die nun das Verfahren läuft, verfügt hingegen über 340 Abgeordnete.

Nicht nur die EU, die einen weiteren Reformstau fürchtet, kritisierte, dass das Verfahren überhaupt vom Verfassungsgericht zugelassen wurde. Die Wirtschaftsverbände warnen vor Instabilität und fallenden Börsenkursen. Der Kommentator Hasan Cemal von der Zeitung Milliyet sprach von einer „Phase des juristischen Staatsstreiches“. Auch die liberalen Kräfte in der Türkei kritisierten den Vorstoß von Generalstaatsanwalt Abdurrahman Yalcinkaya, der in der AKP einen „Hort von Aktivitäten gegen die säkulare Staatsordnung“ ortet, als taktisches Manöver im Machtkampf zwischen Kemalisten und Religiösen in der Türkei. Vor allem aber als antidemokratischen Akt.

Jedenfalls wird das Verfahren die politische Diskussion in den nächsten Monaten bestimmen, obwohl eine dringend notwendige Verfassungsreform und mehr Schutz und mehr Rechte für religiöse Minderheiten und Volksgruppen anstehen. Es wird aber auch klären, wie weit die Justiz – das elfköpfige Verfassungsgericht ist mehrheitlich mit Kemalisten besetzt – mittlerweile europäische Standards einhält. Und daher wird es auch darüber Auskunft geben, wie weit die EU es geschafft hat, Regeln einzuführen.

Die Rechtsordnung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sieht vor, dass Parteien verboten werden können, wenn sie sich gegen die demokratische Grundordnung des Landes wenden. Etwa Parteien, die Gewalt als Mittel anwenden wollen. Aber auch die fundamentalen Grundsätze, die hinter Zielen und Mitteln der Partei stehen, müssen mit der Demokratie vereinbar sein. Deshalb hat Straßburg etwa das Verbot der islamistischen Wohlfahrtspartei 1997 als zulässig angesehen. Denn anhand der Aktivitäten der Partei konnte ausreichend belegt werden, dass sie für die Einführung des Scharia-Systems einstand und also „von der Religion vorgeschriebene göttliche Dogmen und Regeln“ umsetzen wollte, so das Urteil.

Seit 1997 der islamistische Ministerpräsident Necmettin Erbakan ausgehebelt wurde und Erdogan als Bürgermeister von Istanbul gehen musste und sogar ins Gefängnis kam, hat sich auch das Profil der tragenden islamischen Partei verändert. Die Aufhebung des Kopftuchverbots, wie es die AKP nun durchsetzte, ist kein Anzeichen für die Einführung der Scharia, wie Yalcinkaya argumentierte.

Trotz der offensichtlich schlechten Begründungen treibt der Generalstaatsanwalt Erdogan vor sich her. Der Vorschlag der AKP, gerade jetzt durch Gesetze die Parteiverbotsverfahren zu erschweren, wirkt auf der politisch-symbolischen Ebene wie ein Revancheakt, der die Politik der AKP diskreditiert. Das Parteienverbot wurde zudem schon 2001 und 2003 erschwert, unter anderem auch als Reaktion auf die Kritik der EU. Nun müssen sieben von elf Verfassungsrichtern dem Verbot zustimmen.

In der Vergangenheit wurden immer wieder kurdische Parteien verboten, was wiederum der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verurteilte. Die AKP kann von dieser Seite mit Unterstützung rechnen. Aber auch im Land stehen die Chancen gut, denn seit ihrem Regierungsantritt 2002 hat sie alle Machtkämpfe gegen die Kemalisten gewonnen, vor allem wenn sie sich als Opfer des autoritären Staatsapparats darstellte. (DER STANDARD, Printausgabe, 9.4.2008)