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"Besorgt" ist derzeit das von Jacques Rogge öffentlich meistverwendete Wort - zuweilen steht auch ein "sehr" davor. Immerhin, der Belgier, 65 Jahre alt und seit 16. Juli 2001 zehnter Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), verleiht seiner Besorgnis jetzt wenigstens Ausdruck. Jetzt, da der olympische Fackellauf zum Spießrutenlauf verkommt, da die Proteste gegen die Gewalt in Tibet im Besonderen und Chinas Umgang mit Menschenrechten im Allgemeinen tagtäglich an Schärfe zunehmen.

Nach einer fünftägigen Schrecksekunde sprach Rogge erstmals zum Thema. Allerdings nur, um Forderungen nach einem Boykott der am 8. August in Peking anhebenden XXIX. Sommerspiele eine Absage zu erteilen. Drei Tage später versicherte Rogge den angesagten Athleten, dass ihre Gesundheit während der Spiele nicht gefährdet sein werde - weil die Luft in Peking "besser als befürchtet" sei.

Dass Gewalt, aus welchen Gründen auch immer, den olympischen Werten und dem olympischen Geist widerspreche, fiel ihm erst weitere fünf Tage später, am Ostersonntag, ein. Ein erster Appell Rogges, die Gewalt in Tibet zu beenden, kam am Montag. Sich öffentlich an Chinas Machthaber zu wenden vermied er, wie er es schon vor einem Jahr, während einer Rede auf dem Tiananmen-Platz, vermieden hatte, das Wort Menschenrechte auch nur in den Mund zu nehmen.

Rogges Zurückhaltung erklärt sich auch aus seiner Persönlichkeit. Als Menschen, der es möglichst vielen recht machen möchte, beschreibt ihn Heinz Jungwirth, der Generalsekretär des Österreichischen Olympischen Komitees (ÖOC). Konflikte zu vermeiden, Konsens herzustellen sei Rogges Devise.

Dabei hatte sich der an der Universität seiner Heimatstadt Gent ausgebildete Chirurg, der mit der Radiologin Anne Bovijn verheiratet ist und zwei erwachsene Kinder hat, bei Amtsantritt als oberster Olympier Konfliktträchtiges vorgenommen.

Dem Gigantismus der Spiele wollte er Einhalt gebieten, die unter seinem Vorgänger und Mentor, dem Spanier Juan Antonio Samaranch, blühende Korruption innerhalb des IOC wollte er bekämpfen. Und der dreifache Olympiateilnehmer im Segeln (1968, 1972, 1976) wollte den Sport wieder in den Mittelpunkt der olympischen Bewegung stellen.

Die Erfolge seines redlichen Bemühens sind überschaubar. Peking, das noch unter Samaranch den Zuschlag erhielt, wurde geradezu zu einem Synonym für olympischen Gigantismus. Sotschi wird das russische Peking des Winters 2014. Um die Vergabe der Sommerspiele 2012 gab und gibt es schwerwiegende Korruptionsvorwürfe. Und im Licht der aktuellen Krise ist kaum anzunehmen, dass im August tatsächlich ein reines Fest der Sportler steigt. (Sigi Lützow/DER STANDARD, Printausgabe, 9.4.2008)