Diskurs
Masern: Falsche Ängste, berechtigte Sorgen
Ärztliche Ratschläge zum Umgang mit der "Impfdebatte" - ein Kommentar der anderen von Kinderarzt Ferdinand Sator
Eine Kinderkrankheit liefert in Österreich derzeit Stoff für journalistische Erregung, familiäre Konflikte und pseudowissenschaftlichen Disput. Emotionen werden geschürt, vermeintlich Schuldige benannt - das Geschäft mit der Angst kann beginnen, wie so oft in der Medizin. Für Eltern aber, die das Beste für ihr Kind wollen, ist Angst der schlechteste Ratgeber. Im Sinne einer Versachlichung der Debatte daher einige Klarstellungen und Anregungen:
1. Masern werden durch ein Virus ausgelöst, sind hochfieberhaft und - vier Tage vor bis fünf Tage nach Auftreten des Ausschlags - extrem ansteckend. Eine ursächliche Behandlung gibt es nicht. Geimpft wird aber nicht wegen der an sich harmlosen Masernerkrankung, sondern wegen der möglicherweise damit verbundenen Komplikationen wie Pseudokrupp, Ohrenentzündungen, Bronchitis, Lungenentzündung und - am gefährlichsten - Masern-Enzephalitis (Entzündung des Gehirns). Über 85 Prozent aller Kinder mit Masernkomplikationen - also gerade die wichtigste Zielgruppe für die Masernimpfung - stammen in den Industriestaaten aus sozial tristen Verhältnissen.
2. In Salzburg kam es zu einem vermehrten Auftreten von Masernerkrankungen, schon jetzt von einer Epidemie zu sprechen wäre allerdings - da sind sich alle Experten einig - verfrüht. Es sei denn, man will Panik in der Bevölkerung erzeugen.
3. Impfungen sind grundsätzlich sinnvoll, wenn die Krankheit, gegen die geimpft wird, häufig auftritt; wenn das Impfrisiko geringer als das Erkrankungsrisiko ist; und wenn es gegen die zu impfende Krankheit keinen sonstige ausreichende Therapie gibt. - Also ist auch die Masernimpfung sinnvoll.
Kosten-Nutzen-Analyse
4. In alle Impfempfehlungen fließen natürlich Interessen des Staates und auch überstaatlicher Organisationen wie der WHO ein. Deren Impfpolitik verfolgt in erster Linie epidemologische und ökonomische Ziele, nämlich die Ausrottung weltweit verbreiteter Krankheiten auf der Basis einer klassischen Kosten-Nutzen-Analyse: Die Impfkosten müssen geringer als die Folgekosten der Krankheit sein. Die globale Ausrottung der Masern ist nach Auffassung der WHO technisch machbar, jedoch stehen dem organisatorische, politische und finanzielle Probleme entgegen. Die Länder mit größtem Bedarf an der Masernimpfung sind zugleich die ärmsten: In Südostasien liegt die Durchimpfungsrate bei 50 Prozent, in Afrika bei 40 Prozent. Nicht einmal die Länder Ost- und Südeuropas verfügen über die nötigen Mittel für die angestrebte Durchimpfungsrate von 95 Prozent.
Ein weiteres großes Hindernis für eine völlige Ausrottung der Krankheit besteht darin, dass das Masernwildvirus selbst bei Durchimpfung - auf Grund des globalen Tourismus - weiter existiert. Ein Stopp des Impfprogramms ist also selbst bei scheinbar völliger Eindämmung der Krankheit nicht möglich. Die Folge: Mittlerweile hängt fast die ganze Welt wie ein "Impfjunkie" am Tropf der Serumhersteller, die enorme Gewinne erzielen. Der Masernimpfstoff ist aber zweifelsohne wirksam, wie Länder mit hoher Durchimpfungsrate (Finnland, USA, ...) beweisen.
5. Die Interessen der Allgemeinheit decken sich nicht notwendigerweise mit den Interessen des Einzelnen. Eltern geht es hauptsächlich um die Gesundheit des eigenen Kindes. ihre Sorgen vor möglichen Impfschäden dürfen nicht beiseitegeschoben werden. Jede Statistik wird vom Einzelschicksal unterlaufen. Faktum ist: Es gibt keine "Impfwahrheit". Die Impfempfehlungen entstehen aufgrund der Meinungen von Interessenvertretern aus Ärzteschaft, Impfstoffherstellern und -vertreibern sowie Behörden. Dass in den Impfausschuss nicht auch Elternvertreter entsandt werden, halte ich daher für ein bedauerliches Versäumnis. Dazu kommt: Im Impfschadensfall gibt es kaum staatliche Hilfe. Im Gegenteil: Betroffene müssen einen wahren Spießrutenlauf durch den Gesetzesdschungel auf sich nehmen. Hier muss dringend Abhilfe geschaffen werden.
6. Die derzeitige Kriminalisierung der Impfgegner und kritischen Ärzteschaft ist kontraproduktiv. Zielführend wäre stattdessen: ein rationalerer Umgang mit den Argumenten von Befürwortern und Gegnern, die Forcierung wissenschaftlicher Studien zu Impfnebenwirkungen und eine staatliche Institution, an die man sich bei Verdacht auf Impfschäden vertrauensvoll wenden kann und die jeden Fall objektiv überprüft. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10.4.2008)