Sie sind einseitig, weil sie sich vor allem gegen die Lage in Tibet richten, andere heikle Themen wie Sudan, Taiwan, Billiglöhne indes ausgeklammert werden. Schon mokieren sich Kolumnisten über den Dalai Lama als einen "Popstar für die Wellnessgesellschaft".
Bald vergessener Knatsch
Sie sind medial aufgebauscht, weil spektakuläre Störaktionen den Eindruck erwecken, als handele es sich um eine Massenbewegung. Dabei wird spätestens am 8. August, wenn die Olympischen Spiele beginnen, der ganze Knatsch rund um die Fackel vergessen sein. Und sie sind egoistisch, weil sie dem guten Gewissen der Protestierer dienen, nicht aber das Los der Geknebelten, Entrechteten und Unterdrückten verbessern helfen - auch weil der Westen sich seine Multimilliarden Euro schweren Geschäftsbeziehungen zu Peking nicht miesmachen lässt.
Abgesehen davon allerdings, von all diesen Schwächen, Hilflosigkeiten und Widersprüchen, sind die Proteste vor allem eins: ein großartiges, ergreifendes Zeugnis politischer Moral! Ein Zeugnis, das zum Mitmachen ermutigt. Ein Zeugnis, das belegt, dass die Menschen Unrecht noch empört, sie provoziert und in die Aktivität treibt. Jeder, der bei Schnee oder Regen mit den fünf Stacheldrahtringen auf seinem T-Shirt entlang der Straße steht, ein Plakat trägt oder eine Parole skandiert, bringt zum Ausdruck: Unrecht darf nicht beschwiegen werden.
Ist das nicht selbstverständlich? Nein. Die Chinesen wollten aus diesem Fackellauf der Superlative - 137.000 Kilometer durch 20 Staaten und fünf Kontinente, 21.880 Läufer, der höchste Punkt ist der Mount Everest - eine Demonstration ihrer Macht machen. Unter anderem führt die propagandistische Route durch Taiwan und Tibet.
Aus dieser "Reise der Harmonie", wie die Tour schönfärberisch genannt wurde, könnte nun eine gigantische Protestparade werden. Am Montag musste das Feuer vorübergehend gelöscht werden. Die Fackel, die nicht brennt: Gibt es ein stärkeres Symbol für einen Olympiagedanken, der kein Friedensfeuer mehr entfacht?