Henning Gade, Chefberater des Dännischen Arbeitgeberverbandes (li.) empfiehlt eine Debatte über strärkere Flixibilität auf dem Arbeitsmarkt. GPA-chef Wolfgang Katzian besteht auf soiale Netze.

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Wien - Die Affäre rund um Mitarbeiterbespitzelung des deutschen Diskonters Lidl zieht auch in Österreich Kreise. Gewerkschafter gehen derzeit zwanzig anonymen Hinweisen nach, wonach Handelsfirmen ihre Beschäftigten überwachen ließen, sagt Wolfgang Katzian, Chef der Gewerkschaft der Privatangestellten. Er werde niemandem etwas unterstellen, recherchiere aber, ob gegen das Gesetz verstoßen wurde. Dazu brauche es nicht unbedingt die Hilfe der Betriebsräte. "Man soll uns nicht unterschätzen."

Katzian pocht seit langem auf verpflichtende Datenschutzbeauftragte für Betriebe. Der Bundeskanzler habe ihm nun Gespräche dazu in den kommenden Tagen zugesichert.

Bei Henning Gade löst das Thema Mitarbeiterbespitzelung Kopfschütteln aus. So etwas finde in Dänemark nicht statt. Gade ist Chefberater des Dänischen Arbeitgeberverbandes. Der österreichische Handelsverband lud den Politologen zu einem Kolloquium nach Wien. Im Fokus der Debatten: die Arbeitswelt im Handel.

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Gade fordert eine Diskussion über stärkere Flexibilisierung in der EU. Dänemark könne als Vorbild dienen, auch wenn sich das Arbeitsmarktmodell des Landes nicht eins zu eins exportieren ließe. Herausragend in Dänemark sei, dass "Arbeitgeber und -nehmer mit einer Stimme sprechen", sagte er im Standard-Gespräch. "Sie regeln sich vieles selbst und drängen den Staat zurück." Dänemark praktiziert "Flexicurity": Die Arbeitgeber nehmen hohe Abgaben in Kauf und finanzieren damit starke Sozialnetze und eine umfassende Arbeitsmarktpolitik. Im Gegenzug gibt es für Mitarbeiter kaum Schutz vor Kündigungen. Dänemark hat die Arbeitslosenquote in der Folge auf zwei Prozent gesenkt - und die Erwerbsquote auf gut 78 Prozent gesteigert. Drei Viertel der Frauen arbeiten, der Beschäftigungsanteil älterer Arbeitnehmer liegt bei 61 Prozent; in Österreich sind es 36 Prozent. Ein Drittel der Beschäftigten wechselt jährlich die Stelle. Jobs, die durch die Abwanderung der Industrie wegfielen, werden durch qualifiziertere wettgemacht. Gut 29 Prozent der Mitarbeiter bilden sich weiter.

Aus Sicht Katzians fehlt es auch in Österreich nicht an Flexibilität. Eine Million Österreicher arbeite in atypischen Beschäftigungsverhältnissen - anders als in Dänemark sei das Sozialnetz aber darauf nicht vorbereitet. Wer mehr Flexibilität fordere, müsse auch über mehr Sicherheiten reden. Und das vermisse er in Österreich.

Wider die Vereinbarungen

Was die Vereinbarungen der Sozialpartner betreffe, erlebe er in vielen Betrieben eine "Unkultur". Allein im Handel werde ein Drittel aller Überstunden nicht ausbezahlt, Mitarbeitern wie der Sozialversicherung gehen 200 Mio. Euro im Jahr verloren. Der Beruf rund um den Verkauf habe bereits genug an öffentlichem Ansehen eingebüßt, sagt Katzian. "Der Handel muss Vereinbarungen einhalten."

Er sehe durchaus Fortschritte. Bei Rewe und Zielpunkt etwa gebe es bereits eine Task Force, um Arbeitsbedingungen zu verbessern. "Das sollte auch bei Einkaufszentren und kleineren Unternehmen möglich sein."

Gade sieht die Herausforderungen für den Arbeitsmarkt vielmehr darin, die Lücke an Fachkräften zu füllen. Dänemark fehlten derzeit 60.000 Mitarbeiter, bis 2040 wachse die Zahl voraussichtlich auf 200.000 an. "Und das schwächt die Wirtschaft."

Die einzige Gegenstrategie liege in schnellerer Ausbildung, einer längeren Lebensarbeitszeit und Erleichterungen für den Zuzug und der Integration ausländischer Arbeitskräfte. (Verena Kainrath, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 11.4.2008)