Der Autor lehrt Humanökologie am Wiener Institut für Soziale Ökologie der Universität Klagenfurt und vertritt Österreich im wissenschaftlichen Beirat der Europäischen Energieagentur (EEA), die in einer gestern veröffentlichten Erklärung der EU dringend empfohlen hat, von ihrem deklarierten Ziel, den Anteil an Agrartreibstoffen bis 2020 auf 10 Prozent zu erhöhen, abzurücken.

STANDARD/Haberl
Deutschlands Umweltminister hat vor wenigen Tagen die umstrittene "Biosprit-Verordnung" sistiert - und auch andernorts werden in der Klimaschutzdebatte kritische Stimmen zum geplanten Ausbau der Biosprit-Nutzung immer lauter. Höchste Zeit, denn ein stures Festhalten an der verfehlten Biosprit-Strategie à la Brüssel oder Ballhausplatz könnte schon bald zu einem Imageproblem für die gesamte Biomassenutzung führen und auch ökologisch sinnvollere Möglichkeiten zur Energiegewinnung aus Biomasse gefährden. Eine Polarisierung wie bei der Wasserkraft - Stichwort Hainburg - steht im Raum. Und das würde weder der Umwelt noch der heimischen Landwirtschaft nützen. Nötig erscheint daher eine differenzierte Vorgangsweise, da verschiedene Technologien zur Energiegewinnung aus Biomasse ökologisch sehr unterschiedlich zu bewerten sind.

Zur Klarstellung vorweg: Biosprit ist alles andere als "bio". Eine realistischere Bezeichnung wäre "Agrotreibstoff", denn darum geht es nämlich: die Erzeugung von Kraftstoff mittels hochtechnisierter und industrialisierter Agrarwirtschaft sowie chemischer Prozesse. Egal ob Agrodiesel aus Raps oder Agroethanol aus Getreide: In jedem Fall wird mit viel Kunstdünger, Pestiziden und Traktoren ein hochwertiges Produkt wie Getreidekörner oder Rapssaat erzeugt. Das bedeutet, dass nur ein Teil der Pflanze genutzt werden kann, nämlich jener, der auch für menschliche Ernährung oder als Futtermittel geeignet wäre. Diese Biomasse wird dann in aufwändigen Chemo-Verfahren so umgewandelt, dass ein flüssiger Kraftstoff für Motoren entsteht.

Die Energiebilanz dieser Prozedur ist deplorabel. Eine Einheit Fossilenergie, meist Erdöl oder Erdgas, die man in die Gewinnung von Agrotreibstoffen hineinsteckt, liefert unter mitteleuropäischen Verhältnissen bestenfalls drei Einheiten Energie in Form von Agrotreibstoffen.

Dazu kommt: Verglichen mit anderen Formen der Biomassenutzung, ist der Energieertrag pro Flächeneinheit bei Agrotreibstoffen gering. Pro Hektar und Jahr liefern Kurzumtriebswälder oder Chinaschilf (Miscanthus) etwa drei- bis siebenmal mehr Energie. Das hat zwei Ursachen: Erstens sind für die Gewinnung von Agrotreibstoffen nur anspruchsvolle Pflanzen geeignet, von denen zweitens nur ein Teil - eine Weizenpflanze besteht zum Zeitpunkt der Ernte etwa zur Hälfte aus Weizenkörnern - in Agrotreibstoff umgewandelt wird. Bei der Erzeugung von festen Brennstoffen aus Biomasse kann hingegen die ganze Pflanze genutzt werden.

Die zwei zentralen Kriterien für eine ökologisch sinnvolle Nutzung von Biomasse sind also Energie- und Flächenertrag. Je besser der Energieertrag, desto mehr Fossilenergie wird durch die Nutzung einer Einheit Biomasse tatsächlich eingespart. Fast alle anderen Bioenergietechnologien haben einen besseren Energieertrag als Agrotreibstoffe. So liefern etwa Kurzumtriebswälder pro Einheit Energieinput etwa zehn bis zwanzig Einheiten Energie, fünf- bis zehnmal mehr als Agrotreibstoffe.

Stroh vom Weizen trennen Fast noch wichtiger ist der Flächenertrag: Je größer er ist, desto geringer die Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion und desto höher die pro Flächeneinheit erzeugbare Energiemenge. Für Ackerbau geeignete Flächen sind weltweit - und ganz besonders im dichtbesiedelten Europa - begrenzt und werden schon jetzt vielerorts intensiv genutzt. So könnte etwa Österreich im Jahr 2020 selbst bei Nutzbarmachung aller geeigneten Flächen für die Gewinnung von Diesel aus Raps nur etwa ein Prozent des heimischen Treibstoffbedarfs decken, der Rest der angestrebten zehn Prozent müsste importiert werden.

Selbst im Fall einer drastischen Wende im heimischen Ernährungsverhalten - weniger Fleisch- und Milchkonsum, mehr Vegetarismus - wäre das Potenzial bescheiden, denn das genannte Rapsausbauprogramm würde bereits 15 Prozent der österreichischen Ackerfläche benötigen. Völlig zu Recht wird die Frage nach den sozialen (Hunger) und ökologischen (z. B. Regenwaldvernichtung, Biodiversitätsverlust) Folgen von Agrotreibstoffimporten immer lauter gestellt werden.

Biomasse kann dennoch einen Beitrag zum Klimaschutz leisten, aber dazu ist eine differenzierte Vorgangsweise nötig, die sich weniger an den kurzfristigen Interessen des Agrobusiness orientiert als an ökologisch-ökonomischen Kriterien wie Flächen- und Energieertrag. Statt Agrotreibstoffe zu favorisieren, könnte auf der gleichen Fläche ungleich mehr Energie in Form fester Biomasse für Heizanlagen oder zur Stromerzeugung in Kraft-Wärme-Kopplung gewonnen werden. Selbst wenn es nur darum ginge, Erdöl einzusparen, wäre dies sinnvoll, da nach wie vor viele Wohnungen und Betriebe mit Öl beheizt werden.

Ökologisch wäre eine Strategie der "kaskadischen Nutzung" von Biomasse zu favorisieren, d. h. eine integrierte Optimierung von Nahrungs- und Energieproduktion. Zwei Beispiele: Gewinnung von Biogas aus Fäkalien von Nutztieren oder feuchten Reststoffen (Maisstroh, Zuckerrübenblätter) und die integrierte Optimierung der Getreideproduktion - Stroh als Energierohstoff, Korn für die Ernährung. Eine Umorientierung der Biomassestrategien in Richtung derartiger, ökologisch verträglicher Optionen ist dringend nötig, um die energetische Biomassenutzung nicht insgesamt zu diskreditieren und eine unproduktive Polarisierung der Diskussion zu vermeiden.

*Der Autor lehrt Humanökologie am Wiener Institut für Soziale Ökologie der Universität Klagenfurt und vertritt Österreich im wissenschaftlichen Beirat der Europäischen Energieagentur (EEA), die in einer gestern veröffentlichten Erklärung der EU dringend empfohlen hat, von ihrem deklarierten Ziel, den Anteil an Agrartreibstoffen bis 2020 auf 10 Prozent zu erhöhen, abzurücken. (DER STANDARD; Print-Ausgabe, 11.4.2008)