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Dorfbewohner vor ihrem "Haus" in Gerdec. 308 Häuser wurden zerstört, tausende Menschen wurden evakuiert. Pro Familie sollen 2000 Euro Entschädigung bezahlt werden

Foto: AP/Pustina
Hühner staksen zwischen abgerissenen Baumstämmen, Betonteilen und zerborstenen Kühlschränken. In Ustale in der Nähe von Tirana stehen nur mehr die Zwiebeln in den Bauerngärten. Die Druckwelle, die von der Explosion der zehn Tonnen Sprengstoff Tritol am 15. März ausging, hat alles zerborsten. 308 Häuser wurden vollständig zerstört, 3800 teilweise. Die Detonationen waren noch im 170 Kilometer entfernten Skopje zu hören. Rund um Gerdec, so der Name des Katastrophenorts, fahren viele Autos ohne Fensterscheiben. Die Explosion findet aber auch einen Nachhall in der albanischen Politik. Der Verteidigungsminister musste seinen Hut nehmen. Denn die Dorfbewohner, die die alten Waffenbestände aus der Zeit des kommunistischen Regimes des Diktators Enver Hoxha entschärften, waren weder geschult, noch gab es irgendwelche Schutzvorkehrungen. Bis 2007 noch entsorgten Firmen, die direkt dem Verteidigungsministerium unterstanden, die Munitionsbestände. Doch im Vorjahr wurde die Aufgabe durch eine Gesetzesänderung "privatisiert". Ein Auftrag ging an das US-Unternehmen Southern Amunition, das die albanische Firma Alba-Demil beschäftigte.

"Wir wissen, dass unsere Kunden unser größtes Kapital sind, und behandeln jeden mit Anstand und Rechtschaffenheit", steht auf der Homepage von Southern Amunition. Elisa Spiropali von der NGO Mjaft glaubt, dass das Verteidigungsministerium den Auftrag Alba-Demil zuschanzen wollte – weil die Firma aber keine Erfahrung mit Munitionsentschärfung hatte, seien die Amerikaner dazwischengeschaltet worden. Der neue Verteidigungsminister Gazmend Oketa findet, dass die ausländischen Entschärfungsfirmen bisher gut gearbeitet haben.

"Das wurde immer im Zusammenarbeit mit den Botschaften hier gemacht", erzählt er. Albanien verfügt noch über 100.000 Tonnen alter Waffen- und Munitionsbestände aus der Hoxha-Ära. "Nur zehn Prozent davon entsprechen unseren Anforderungen. Alles andere muss zerstört werden." Southern Amunition hatte einen Vertrag mit der Exportabteilung des Verteidigungsministeriums, Meico. Meico verkaufte auch alte Munition, in der "militärischen Fabrik" in Gerdec sollte die Munition aber nur entsorgt werden, so Oketa. "Schau auf meine Hände", sagt Ruzhdia Halili und zeigt ihre rissigen Handflächen. "Wir haben draußen im Freien gearbeitet, da war keine Fabrik." Im Sommer 2007 habe Alba-Demil erstmals Munition nach Ustale gebracht. Anfang 2008 sei dann auch schwere Munition, also Granaten, geliefert worden. 120 Leute aus dem Dorf wurden beschäftigt. Die Männer entfernten die Zünder und lagerten das Schießpulver, die Frauen wuschen die Hülsen. Alba-Demil erhöhte die Zielvorgaben. 200 Kisten mit je drei bis vier Granaten sollte eine Gruppe (vier bis fünf Leute) pro Tag entsorgen. Weil das aber nicht zu bewältigen war, so erzählt die Familie Halili, hätten auch die Kinder von Ustale mitgeholfen. "Zum Schluss haben wir nonstop gearbeitet, auch in der Nacht und auch am Sonntag", sagt Ruzhdia Halili. Pro Tag habe Alba-Demil etwa zehn Dollar bezahlt. Zweimal seien Kontrolleure vom Verteidigungsministerium da gewesen. "Doch die Firma hat sie nicht zu uns gelassen." Die Amerikaner seien nur einmal gekommen. Im Dezember verließen die Vertreter von Southern Amunition Albanien.

Nur oberflächlich sicher

Zwei Mitarbeiter von Alba-Demil sitzen in Untersuchungshaft. Die Firma will ihre ehemaligen Arbeiter heute nicht mehr kennen. Die Halilis waren nicht sozialversichert. Was die Explosion auslöste? Ein Nachbar habe das Schießpulver mit einer Scheibtruhe transportiert, die er gerade erst geschweißt hatte. Herr Deliu wurde am 15. März getötet. Der Explosion, die einen Krater zwischen die Hügel riss, haben nur die grauen Betonbunker aus der Hoxha-Zeit standgehalten. Einige Leute sollen sich dort hineingerettet haben, während die Eisenstücke bis zu 2,7 Kilometer weit durch die Luft flogen. Selbst nach seinem Tod wendete sich der Aufrüstungswahn des Diktators gegen die Bevölkerung. Die Explosion tötete 25 Menschen, Hunderte wurden verletzt.

Die Regierung ist stolz, dass die Umgebung schon wieder für "sicher" erklärt wurde. Nur im Umkreis von 0,8 Kilometern gilt das Gebiet noch als „kontaminiert“. Der Österreicher Alois Hirschmugl vom United Nations Desaster Assessment Center (Undac), der half, dieUnterstützung vor Ort zu koordinieren, traut dieser Sicherheit nicht. "Die Oberfläche ist gereinigt, aber nicht das, was unter der Erde ist." Munitionsteile könnten durch die Wucht der Explosion bis zu drei Meter tief in der Erde stecken. Sicher sei nur, dass bei der Zerstörung der Munition keine Standards eingehalten wurden. (Adelheid Wölfl aus Tirana/ DER STANDARD Printausgabe, 12./13.4.2008)