Die lebhafte Debatte der Befürworter und Gegner hat das Thema Europa wieder ins Zentrum der politischen Diskussion in Österreich gerückt. Ich begrüße das sehr, denn Europa ist unser Schicksal, die Mitgliedschaft zur Union hat uns vom Rand ins Zentrum Europas gerückt. Jahrzehntelang waren wir ziemlich einsam zwischen den Blöcken an der Peripherie, nun arbeiten wir gemeinsam mit 26 anderen Ländern als Herz dieser Europäischen Union. Manchmal erstaunen mich die merkwürdigen Allianzen von Kritikern von ganz rechts bis ganz links, H.-C. Strache und Jörg Haider auf der einen Seite, Marlene Streeruwitz, Robert Menasse, (Hitler-Darsteller) Hubsi Kramar, die kommunistische Partei, die Grüne Bildungswerkstatt demonstrieren gemeinsam gegen den EU-Reformvertrag.

Das zeigt einmal mehr: Dieses Europa ist eben ein Projekt der politischen Mitte und nicht der Ränder. Enttäuschten Liebhabern (Voggenhuber) geht der Vertrag nicht weit genug, andere meinen, nur durch eine Volksabstimmung könnte ein europäischer Diskurs in Gang gebracht werden, Beitrittsgegner von 1994 wittern die Chance, wieder austreten zu können. Daher einige gute Gründe für diesen Vertrag:

1. Die europäische Einigung, die Wiedervereinigung des Kontinents ist eines der raren "Wunder", die wir zu unseren Lebzeiten erleben, ja mitgestalten dürfen. Nicht ohne Pathos darf, ja muss man auf den Umstand hinweisen, dass fast sieben Jahrzehnte des Lebens in Freiheit, Stabilität und Wohlstand eben nur durch diese Einigungsidee ermöglicht worden sind. Deutsche sind mit Franzosen versöhnt, Engländer mit Iren, Ungarn haben mit Rumänen ihre offenen Fragen bereinigt. Österreich lebt mit seinen Nachbarn in Frieden, das heikle Thema Südtirol, das uns jahrelang mit Italien beschäftigt hat, ist ein Modellfall für die Lösung von Konflikten geworden.

Große achten Kleine

Mit 27 Mitgliedern muss die Geschäftsordnung aber anders aussehen als 1957 für eine Gemeinschaft von sechs Mitgliedern. Der neue Vertrag ist eine gute Betriebsanleitung, wie wir die Union handlungsstärker machen können: eine kleinere Kommission ab 2014, ein ständiger Vorsitz, Mehrheitsabstimmungen - bei denen zwei Drittel der Bevölkerung (65 Prozent) und die Mehrheit der Staaten (55 Prozent) für eine Zustimmung erforderlich sind. Das heißt: Große müssen auf Kleine Rücksicht nehmen. Niemand kann überfahren werden. Aber gerade ein mittleres Land wie Österreich - das die Union weiterentwickeln will in Richtung Wettbewerbsstärke, Sozialunion, Klima- und Umweltschutz, Friedensunion - hat kein Interesse auf einen überdimensionierten Vetoknopf, sondern an einer klugen Weiterentwicklung. Sensible Themen für Österreich wie der Schutz unseres Grund und Bodens, der Wasservorräte, der Eigenentscheidung über unseren Energie-Mix, Verteidigungsfragen bleiben aber natürlich einstimmigen Beschlüssen vorbehalten.

2. Europa wird sozialer, weil erstmals das Grundprinzip der Sozialen Marktwirtschaft als Ziel dieser Europäischen Union festgeschrieben wird. Dazu kommen einklagbare Grund- und Freiheitsrechte, die in der Charta verbindlich (außer für Großbritannien und Polen) verankert wurden. Damit kann jeder Bürger bis zum Europäischen Gerichtshof diese Grundrechte gegenüber den europäischen Institutionen bis zum Europäischen Gerichtshof einklagen. Die Sozialpartner werden in ihrer Rolle ausdrücklich gewürdigt - keine Rede von der Einschränkung von Kollektivvertragsrechten oder der Abschaffung von Mindestlöhnen, nichts von einer Einschränkung des Streikrechts in diesem Vertrag.

Unveränderte Neutralität

3. Die Union bereitet sich auf neue Aufgaben als Global Player vor. Dazu braucht es vor allem in der Außen- und Sicherheitspolitik eine starke gemeinsame Stimme, die in Hinkunft der europäische Außenminister sein wird, der zugleich auch Generalsekretär des Rats und Vizepräsident der Europäischen Kommission ist. Ein gemeinsamer auswärtiger Dienst unterstützt diese Politik. Gute Koordination, erstklassige Ausrüstung, die Logistik für Friedensmissionen und Stabilitätsmissionen von Polizisten und Soldaten sollen Sicherheit aus Europa exportieren, um nicht Instabilität und Risken importieren zu müssen. Von der "Militarisierung" der Union kann nicht die Rede sein, auch die österreichische Neutralität bleibt unverändert. Wir allein entscheiden, ob wir uns an militärischen Aktionen zur Friedenssicherung oder -erhaltung beteiligen. Ausdrücklich wird im Vertrag auf die besondere Situation der Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowohl der Nato-Länder wie der bündnisfreien Staaten Rücksicht genommen.

4. Der Standort Europa für Wirtschaft und Arbeit wird gestärkt. Heute gibt es übrigens in Österreich 350.000 Arbeitsplätze mehr und 20.000 Arbeitslose weniger als bei unserem Beitrittsantragsabschluss im März 1994. Auch in der Union als Ganzes greift die Lissabon Strategie bereits recht gut. Im Vorjahr wurden immerhin 3,5 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen. Österreich profitiert übrigens überproportional von der Mitgliedschaft in dieser Union. Vor dem Beitritt rund 40 Milliarden Euro, heute 115 Milliarden Euro Exporte; pro Kopf sind das 10.000 Euro für jeden Österreicher. Schon 60 Prozent unseres Volkseinkommens werden im Ausland erwirtschaftet, wobei 80 Prozent unserer Exporte in den europäischen Wirtschaftsraum gehen! Daher ist die Weiterentwicklung des Binnenmarktes, der Euro mit seinen bezifferbaren Vorteilen für eine Export- und Tourismusnation wie Österreich wichtig.

5. Die Diskussion vermag auch den Nutzen für jeden einzelnen Bürger ins Zentrum zu rücken. Die Konsumenten profitieren - Handytarife ins Ausland sanken um 60 Prozent, die Telefonkosten jährlich um über sieben Prozent, der Kampf um giftfreies Kinderspielzeug wird derzeit mit China ausgefochten, unsicheren Fluglinien wurde der europäische Luftraum gesperrt, Reisenden Schadenersatzansprüche bei Verspätungen zugebilligt, Banküberweisungen ins Ausland drastisch verbilligt. Und Österreich holt fast 90 Prozent seiner eingezahlten Beiträge für sinnvolle Projekte wiederum zurück. Seit unserem Beitritt sind über 100.000 Projekte für Soziales, Ausbildung, Studentenaustausch, Landwirtschaft, Tourismus, Wirtschaftsförderung, Forschung und Entwicklung umgesetzt worden.

Information ist ein Angebot, keine Zwangberieselung, aber es ist ermutigend, wie viel Interesse dem Thema Europa heute entgegengebracht wird. Das Außenministerium hat seit Oktober über eine Million Zugriffe auf seine Europa-Seite gehabt. Auch bei uns wird derzeit pro Monat 140.000-mal die Europa-Seite der ÖVP und des Parlamentsklubs aufgerufen. Eine Viertelmillion Broschüren des Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten sind angefordert bzw. verteilt worden. Kein Grund also, eine Diskussion zu scheuen. Noch weniger Grund, Angst zu machen oder Angst zu haben - heute sind Mutmacher gefragt, um die Chancen dieses Vertrages für eine gute österreichische und europäische Zukunft zu nützen. (DER STANDARD Printausgabe, 12./13.4.2008)