Plädoyer für ein weltoffenes Christentum, dessen Horizont "nicht an den Grenzen von Klagenfurt, Hütteldorf und Feldkirch endet": Paul M. Zulehner.

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Wider den "provinziellen Kleingeist" der "Ab- und Ausgrenzer" in der katholischen Amtskirche: Ein Festvortrag des Priesters und Theologen Peter M. Zulehner* geriet am Wochenende aus aktuellem Anlass zu einer Art Strafpredigt. Wir bringen Auszüge.

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Die Welt von heute wächst unaufhaltsam zusammen. Europa eint sich, ohne sich der übrigen Welt zu verschließen. Eine solche zusammenwachsende Welt braucht "Weltbürger". Solche haben Gottes eine Welt im Blick. Ihre innerste Überzeugung ist: Weil nur ein Gott ist, ist jede eine, ist jeder einer von uns. Selbst mit der Natur wissen sich solche ökologisch sensiblen Weltbürgerinnen tief verwoben.

In solcher Zeit sind ein dumpfer Nationalismus sowie ein eingeigelter Eurozentrismus geistlos. Das gilt auch für jenes engstirnige Kulturchristentum, das neuerdings hierzulande auftaucht. Solchen vermeintlichen Christen geht es nicht um das Feuer des Geistes und die Weite des Glaubens an den einen Gott der einen Welt. Nein: Das Christentum muss jetzt herhalten als Instrument der Ab- und Ausgrenzung. Insbesondere gegenüber dem Islam.

Solche provinziellen Abgrenzer müssen vergessen, dass in der christlichen Theologe ein Thomas von Aquin seine grandiose mittelalterliche Theologie nur entwickeln konnte, weil er über die Muslime Südspaniens Zugang zu Aristoteles erhalten hatte. Auch viele Kenntnisse in der Medizin, in der Mathematik (wir nennen unsere Ziffern immer noch arabisch), der Architektur, der Sternenkunde verdankt Europa islamischen Gelehrten. Heute aber wollen wir von Arbeitsmigranten lediglich die Arbeitskraft. Sie müssen unsere eigenen fehlenden Kinder ersetzen. Dass solche muslimischen Arbeitskräfte Familien mit vielen Kindern mitbringen, nehmen wir widerwillig in Kauf. Dass es sich aber noch dazu um Menschen handelt, die einen starken Glauben haben, stört und verstört uns.

Problem?

Aber sind nicht wir selbst das Problem? Da trifft in Europa ein vormoderner, glaubensstarker und kinderfreundlicher Islam auf ein postmodernes, glaubensschwaches und kinderarmes Christentum. Wir sollten unseren eigenen christlichen Glauben stärken, statt mit bischöflichem Segen den Bau von Minaretten zu verbieten. Die gläubige Grundregel kann nur lauten: Weil nur ein Gott ist, ist jeder einer von uns - der Buddhist ebenso wie der Moslem, der Atheist ebenso wie der evangelische oder orthodoxe Christ oder der Jude. - Nur ein derart weit geöffnetes Christentum, das die Vielfalt der Sprachen und Kulturen versteht, das Gottes Heilsspuren in allen Religionen und bei allen Menschen aufzuspüren vermag und selbstlos fördert, ist getragen von der Vision Jesu und dem Kommen seines endzeitlichen Reiches in die eine Weltgeschichte.

Wie kümmerlich nehmen sich im Licht einer solchen Vision jene aus, deren Welt an den Grenzen von Klagenfurt und Graz, Hütteldorf und Feldkirch endet, die keinen Dialog zusammenbringen, weder mit den christlichen Schwesterkirchen, noch mit den großen Religionen der Welt und schon gar nicht mit einem lehrreichen und intelligenten Atheismus. In solcher Enge blüht die Angst. Geistlose Enge ist ein tragischer Beitrag zu jener zukunftslosen "culture of fear", die für den amerikanischen Forscher Frank Furedi ein typisches Merkmal unserer Zeit ist.

Wenn es heute eine Kraft gibt, welche die Menschen klein macht, dann ist es die Mutlosigkeit. Längst kämpfen die wachen Zeitgenossen wie einst vor vierzig Jahren im Jahre achtundsechzig des vergangenen Jahrhunderts nicht mehr gegen Repression, sondern leiden unter Depression. In deren Umkreis erstickt aber die Fantasie, mauern sich Menschen in den bestehenden Verhältnissen ein, haben nur noch Besitzstandswahrung im Sinn.

Joseph Ratzinger ...

Angst und Mutlosigkeit sind ein Symptom der Geistauslöschung. Gottes Geist aber macht wagemutig und kampfstark. Kontemplation und Kampf verwachsen, so der große Roger Schutz von Taizé. Geistvolle kämpfen um eine gerechtere Welt und lassen sich nicht dadurch von ihrem Einsatz abbringen, dass sich nachhaltige Erfolge nur langsam einstellen. Geistvolle Kirchenmitglieder resignieren nicht, sondern zeigen wachen und loyalen Kirchenmut. Dann wären mutige Schritte möglich: der römisch-katholischen Kirche nicht nur auf die Orthodoxie, sondern auch auf die Kirchen der Reformation hin. Das Sekretariat für die Nichtglaubenden, unter Kardinal König hatte es seine Blütezeit, würde neubelebt. Es gäbe auch innerkirchlich mutige Reformen: Zumindest könnten neue Möglichkeiten in kontrollierten Experimenten ausgetestet und auf ihre weltkirchliche Tauglichkeit hin geprüft werden. Dann könnte der prophetische Satz von Joseph Ratzinger aus dem Jahre 1970 eine Chance bekommen, als er für die Kirche im Jahr 2000 voraussagte:

"Sie wird sich sehr viel stärker gegenüber bisher als Freiwilligkeitsgemeinschaft darstellen, die nur durch Entscheidung zugänglich wird. Sie wird als kleine Gemeinschaft sehr viel stärker die Initiative ihrer einzelnen Glieder beanspruchen. Sie wird auch gewiss neue Formen des Amtes kennen und bewährte Christen, die im Beruf stehen, zu Priestern weihen: In vielen kleineren Gemeinden bzw. in zusammengehörigen sozialen Gruppen wird die normale Seelsorge auf diese Weise erfüllt werden.

Daneben wird der hauptamtliche Priester wie bisher unentbehrlich sein. Aber bei allen diesen Veränderungen, die man vermuten kann, wird die Kirche ihr Wesentliches von neuem und mit aller Entschiedenheit in dem finden, was immer ihre Mitte war: im Glauben an den dreieinigen Gott, an Jesus Christus, den menschgewordenen Sohn Gottes, an den Beistand des Geistes, der bis zum Ende reicht."

... beim Wort nehmen

Ein solch geistermutigter Papst würde dann nicht besorgt über den Priestermangel klagen und die wenigen Priester nicht zum Tragen von noch größeren pastoralen Lasten auffordern, sondern alles tun, um den Priestern und den vielen Engagierten in der Kirche Lasten abzunehmen. Er würde wagemutig aus der Kraft des Geistes neue Wege eröffnen, die ihm vor dreißig Jahren schon einleuchtend waren. Er würde dann damit rechnen, dass auch ihm Gott im Traum etwas zumutet, wozu er - gestützt auf seine bisherige Erfahrung - ein "nie und nimmer" parat hatte: als es um die Frage ging, ob man Jude vor dem Gesetz werden muss, bevor man die Freiheit des Christen erfahren darf.

In Joppe musste Gott ihn belehren, dass sein "nie und nimmer" nur seinen bisherigen begrenzten Erfahrungen, nicht aber dem weiten Horizont des Gottesgeistes entspricht. Seither hat die Kirche immer wieder erfahrungsgestützt "nie und nimmer" erlassen: Nie und nimmer wird sich der Pontifex romanus mit den modernen Freiheitsrechten - einschließlich der Religionsfreiheit anfreunden. Nie und nimmer werden Frauen ordiniert werden. Muss aber nicht auch heute ein Papst damit rechnen, dass Gott ihn eines anderen belehrt - heute nicht in Joppe, sondern im Vatikan, vielleicht auch nicht in Träumen, sondern in einer Kirchenversammlung? "Empfanget den Heiligen Geist": Welch ein gefährliches Geschenk des Auferstandenen für eine geistlose Welt und eine geistarme Kirche! (Paul M. Zulehner, DER STANDARD, Printausgabe 14.4.2008)