Psychedelische Visionen: Ein Suchender auf dem Weg zum "Heiligen Berg", den sich der Psychomagier, Tarotspezialist, Comicmacher, Schauspieler und Filmregisseur Alejandro Jodorowsky ausgedacht hat.

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Lange bevor die Bezeichnung "Kultregisseur" von Marketingabteilungen in Hinblick auf die Publikumsnische ausgefolgt wurde, da konnte man sich diesen Ehrentitel noch in den Mitternachtsschienen der Schundkinoprogramme verdienen. Ein gewisser John Waters aus Baltimore zum Beispiel erwarb ihn sich dort mit seinen herrlichen queeren No-Budget-Schmuddelproduktionen. Der gebürtige Chilene Alejandro Jodorowsky hingegen konfrontierte das staunende Publikum in den 1970er-Jahren mit surrealen Weltfantasien.

Deren Ikonografie und erzählerische Motive entlehnte er dem Fundus von Archetypen, Mythen und Religionen, der (Kolonial-)Geschichte und der Popkultur, oder bei Wilhelm Reich und dem Tarot. So steigt in "Der Heilige Berg" (1973) ein Totgeglaubter von jenem Kreuz herab, an das ihn inmitten einer kargen Felslandschaft eine Horde nackter Knaben gebunden hat. Ein Bettler ohne Unterarme und Beine wird sein Weggefährte.

Im Verlauf einer langen Reise durchquert man zunächst allegorische Panoramen der unheiligen Allianz zwischen Religion, Politik und besitzender Klasse. Bevor der Namenlose auffährt in einen mysteriösen Turm, in dessen psychedelisch ausgestaltetem Inneren noch mehr eigentümliche Erfahrungen, Visionen, ganze Paralleluniversen, eine große Aufgabe und ein überraschendes Ende warten.

Arte zeigt diese durchgeknallt bunte, anarchische, frivole, kindische, hippieske Großtat, die an die surrealistischen Bilderstürmereien eines Luis Buñuel ebenso erinnern mag wie an die rauen Fabeln eines Glauber Rocha, in einer erstklassig restaurierten Fassung heute, Freitag. Am 25. April folgt Jodorowskys Antiwestern El Topo von 1970. (Isabella Reicher/DER STANDARD, Printausgabe, 18.4.2008)