Bild nicht mehr verfügbar.

Foto:REUTERS/Michael Kooren
Bern - Es existierte in der Hauptstadt tatsächlich der Plan, die beliebte Aare während der Europameisterschaft für Schwimmer zu sperren, weil man befürchtete, alkoholisierte oder ungeübte ausländische Fussballfans könnten im zuweilen reissenden Fluss in Schwierigkeiten geraten oder gar ertrinken. Unterschätzen sollte man den erfrischenden Sprung in die Aare tatsächlich nicht, gesperrt aber wird das Gewässer nicht, die Anzahl der Aufpasser am Ufer allerdings wird im Juni massiv erhöht.

Bern rüstet sich in jeder Beziehung auf die Invasion der Euro-Besucher. Allein aus Holland werden bis zu 30 000 Anhänger erwartet. Helfer und Angestellte von Geschäften lernen in den«Welcome-To-Bern»-Schulungen ein Paar Brocken Holländisch, Italienisch, Französisch und sogar Rumänisch. Initiiert wurde dieser Kurs vom Verband Bern Tourismus. Und so wissen die Teilnehmer jetzt, dass man einen Gast aus Rumänien ambesten mit den Worten «Haide Romania » (Hopp Rumänien) begrüsst.

19 Firmen und Organisationen, die engeren Kontakt mit Gästen der Euro haben werden, machen beim Projekt mit, unter anderem die Kantonspolizei, die Schweizerischen Bundesbahnen SBB und weitere Unternehmen des öffentlichen Verkehrs wie Taxiunternehmen, aber auch Museen und die Gastronomie.

BERN WIRKT WUNDER

Noch dauert es einige Wochen bis zum kontinentalen Turnier, und doch erinnert in Bern bereits einiges an die bevorstehenden Fussballfestspiele. Das Wankdorf (oder neudeutsch: Stade de Suisse) war in den letzten Tagen eine riesige Baustelle. Über dem Kunstrasen wurde ein natürlicher Untergrund verlegt, und in Bern gibt es Young-Boys- Sympathisanten, die unken, YB verspiele durch den Wechsel des Untergrunds nicht nur den Heimvorteil, sondern im Rennen mit dem FC Basel sogar den ersten Meistertitel seit 1986. «Ich glaube nicht, dass YB auf Naturrasen schlechter spielen wird», sagt Stefan Niedermaier, CEO der Stade-de-Suisse-Nationalstadion AG, tapfer. Und YB-Trainer Martin Andermatt behauptet sogar: «Wir haben viele Probleme weggesteckt. Wir werden den Kunstrasen nicht vermissen.»

Sogar die ordentlich fettige YB-Wurst wird an den drei EM-Spielen Holland– Italien, Holland–Frankreich und Holland–Rumänien angeboten werden – bloss heissen wird die einheimische Delikatesse anders. Wie wäre es mit «DeWurst»? Noch aber bestimmen die Young Boys die Fussballschlagzeilen in einer Stadt, die nach vielen schwierigen und erfolglosen Jahren nach Erfolgen ihres Vereins lechzt. Aber die Europameisterschaft wirft ihre langen Schatten über die Gassen der Innenstadt.

So kurvt seit einigen Wochen ein Euro- Traum durch Bern. Nach dem Motto «Bern wirkt Wunder» werden die Gäste im Tram in den Sprachen Deutsch und – ja, genau – Französisch, Holländisch, Rumänisch sowie Englisch humorvoll begrüsst. Der Lieblingsslogan des Berner Stadtpräsidenten Alexander Tschäppät lautet: «Hier hatte Einstein 1905 eine relativ gute Idee.» Es ist vermutlich eine ziemlich gute Idee, dass das Tram bis Ende Juni vornehmlich auf der Linie 9 verkehrt, die zum Stade de Suisse in Berns Norden führt.

ORANGE-OASE

Der relative Höhenflug der Young Boys sowie das Scheitern der Eishockeyaner des SC Bern haben dazu geführt, dass sich viele Bernerinnen und Berner in diesem Frühling eher zum Fussball hingezogen fühlen. Allenthalben ist der Stolz spürbar, an der Euro spektakuläre Mannschaften wie die beiden WM-Finalisten von 2006, Italien und Frankreich, zu beherbergen und live im Einsatz erleben zu können. «Die Musik an der Euro spielt in der Vorrunde in der Schweiz», behauptet Stadtpräsident Tschäppät, «und in Bern finden spektakuläre Partien statt.» Nicht nur als geografischer Mittelpunkt soll die Schweizer Hauptstadt im Juni fungieren, sondern auch als Epizentrum der Begeisterung.

«Die Holländer sind die besten Fans», findet Tschäppät, «sie sind freundlich, gesellig, farbenfroh und fair.» Auf die Invasion der Oranjes ist man in Bern vorbereitet. Der Kornhausplatz, zentral zwischen dem Bahnhof und dem Wankdorfstadion gelegen, ist in eine orange Oase verwandelt worden. 11 200 Tulpenzwiebeln aus Holland sind in 50 Blumenschalen gepflanzt worden – ein Geschenk des niederländischen Botschafters Edo Hofland. Man freut sich in Bern auf die holländischen Gäste, es gibt ja auch einige Gemeinsamkeiten zwischen der Schweiz und Holland: Beide Länder sind relativ klein und pflegen die Abneigung gegen den gemeinsamen Nachbarn Deutschland.

Und weil die drei Berner EM-Vorrundenspiele nicht als sogenannte Risikospiele eingestuft sind, werden die Fangruppen an den Spieltagen auch nicht getrennt. Es wird eine rund drei Kilometer lange Fanachse vom Bahnhof zum Stadion mit unzähligen Ständen geben.

Gespannt darf man sein, wie die in der Vergangenheit – etwa bei politischen Grossdemonstrationen in Bern – nicht immer souveräne Polizei mit den aussergewöhnlichen Menschenmassen umgehen wird. In den malerisch auf dem Waisenhausplatz sowie Bundesplatz gelegenen offiziellen Fan-Zonen werden an Spitzentagen bis zu 40000 Fans erwartet. «Die Planung der Fan-Zonen ist eine unserer wichtigsten Aufgaben», sagt deshalb Marcel Brülhart, der Euro-08-Projektleiter von Stadt und Kanton Bern.

SEXMEILE

Auch die Hotelbetriebe und Restaurants blicken voller Vorfreude auf die drei Wochen Hochbetrieb im Juni, sie erwarten fest- und vor allem trinkfreudige Gäste. Der beliebte Campingplatz Eichholz, idyllisch an der Aare gelegen, bräuchte rund zehnmal mehr Kapazität, um alle interessierten Besucher unterzubringen. Die 55 Wohnwagen- und rund 400 Zeltplätze waren in Rekordzeit ausgebucht.

Und, natürlich, auch das horizontale Gewerbe bereitet sich beinahe generalstabsmässig auf die eruptiven Tage im Sommer vor. Die Sexmeile während der Euro wird im Lorraine-Quartier angesiedelt sein, die praktischerweise ebenfalls zwischen dem Bahnhof und dem Wankdorfstadion liegt – aber nicht auf der offiziellen Fan-Achse. Von dort ist es bloss ein kurzer Fussmarsch runter an die Aare. Die Fussballfans werden im heissen Fussballsommer in Bern eine Abkühlung geniessen können. Die Aufpasser am Wasser wissen Bescheid. (FABIAN RUCH von der Basler Zeitung, DER STANDARD Printausgabe 18.04.2008)