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Wie kamen die Medien an streng geheime Informationen zum Fall Kampusch? Damit beschäftigt sich jetzt die Staatsanwaltschaft

Foto: AP Photo/Martin Meissner
Wien - Nachdem eine bisher unbekannte Aktennotiz über die Einvernahme von Natascha Kampusch, in der sie ihre Gefangenschaft schildert, in den Medien aufgetaucht ist, ermittelt die Staatsanwaltschaft nun wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses. Wie der Sprecher der Staatsanwaltschaft Wien, Gerhard Jarosch sagte, sei aber noch nicht abschätzbar, wie groß der Kreis der möglichen Verdächtigen ist.

Wieviele Personen Zugriff auf die Kampusch-Akten hatten, ist schwer einzugrenzen. Der Originalakt des Wiener Straflandesgerichtes (Aktenzahl 222 UR 59/03-K) wurde jedenfalls am 28. März an den parlamentarischen Untersuchungsausschuss weitergegeben, sagte Sprecherin Alexandra Mathes. Ausgenommen wurde zwar das Einvernahmeprotokoll von Natascha Kampusch, nicht aber die am Freitag von der Tageszeitung "Heute" zitierte Aktennotiz. Auch ihr Tagebuch hat die Staatsanwaltschaft Anfang April ans Parlament übermittelt.

Bis zu drei Jahre Haft

Sollte die undichte Stelle gefunden werden, drohen bis zu drei Jahre Haft. Das sieht die Bestimmung über die "Verletzung des Amtsgeheimnisses" im Strafgesetzbuch (Paragraf 310) vor. Dieser Paragraf gilt nicht nur für Beamte und Mitarbeiter der Justiz, sondern auch für Abgeordnete und Mitarbeiter in vertraulichen Untersuchungsausschüssen.

Der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses, der FP-Abgeordnete Peter Fichtenbauer, schließt aus, dass die an die Öffentlichkeit gelangten Kampusch-Akten aus dem Parlament durchgesickert sein könnten. "Es ist prinzipiell ausgeschlossen, dass vom Parlament etwas hinausgeht", sagte Fichtenbauer. Sein Argument: Die an die Parlamentsklubs gelieferten Akten sind mittels Wasserzeichen kopiergeschützt, geheime Akten dürfen nicht an die Klubs verteilt, sondern nur im überwachten Aktenraum eingesehen werden.

Für die an den U-Ausschuss gelieferten Akten gibt es laut Fichtenbauer zwei Klassifizierungen: "Vertrauliche" Akten werden auf DVD kopiert und an die Parlamentsklubs verteilt. "Wenn sie ins Scan-System aufgenommen werden, besteht ein 100-prozentiger Kopierschutz", sagte der FP-Abgeordnete. Konkret wird das Kürzel der Partei (also "SPÖ" oder "ÖVP") als digitales Wasserzeichen quer über die Seite eingebrannt, um im Fall einer Aktenweitergabe den Verantwortlichen identifizieren zu können.

"Streng überwacht"

Als "geheim" eingestufte Akten werden dagegen nicht auf DVD gebrannt, sondern dürfen nur im Aktenraum (dem Parlaments-Lokal V) eingesehen werden. Der Lagerraum sei jedoch "streng überwacht", betont Fichtenbauer. Zutritt hätten nur die für den U-Ausschuss vereidigten Abgeordneten und Mitarbeiter, deren Tätigkeit im Aktenraum von Mitarbeitern der Parlamentsdirektion überwacht werde. Den Schlüssel zum Raum habe ebenfalls nur die Parlamentsdirektion bzw. die Leitung der Parlaments-EDV.

Fichtenbauer mutmaßt allerdings, dass die Veröffentlichung der Kampusch-Daten dazu dienen soll, "ein Argument zu haben, dass wegen angeblicher Vertraulichkeitsbruchgefahr Akten nicht ins Parlament kommen sollen". Einen Vorwurf an die ÖVP, die die Übermittlung von Innenministeriums-Personalakten bisher unter Verweis auf den möglichen Bruch des Datenschutzes verweigert, will Fichtenbauer damit aber nicht formuliert haben, wie er auf Nachfrage versicherte. "Ich werfe überhaupt niemandem etwas vor. Ich bin der Meinung, dass die verantwortlichen Leute so etwas nicht tun", so der FP-Abgeordnete. Die ÖVP müsse aber klarstellen, "dass das vollständig außerhalb ihres Interessensprofils ist".

Zutritt zum Aktendepot im Lokal V haben nicht nur die 17 Mitglieder des Untersuchungsausschusses, sondern auch die Ersatzmitglieder, die mit dem U-Ausschuss befassten Mitarbeiter der Parlamentsklubs sowie die Mitarbeiter der Parlamentsdirektion. Wieviele Personen das insgesamt sind, war im Parlament vorerst nicht in Erfahrung zu bringen.

"Heute"-Chefredakteur: "Strafrecht vor Persönlichkeitsschutz"

"Wir sehen es als unsere Pflicht, wenn wir Unterlagen von strafrechtlicher Bedeutung zugespielt bekommen, diese auch zu veröffentlichen. Strafrecht geht für mich klar vor Medienrecht und Persönlichkeitsschutz", entgegnete "Heute"-Chefredakteur Richard Schmitt. "Ich sehe es prinzipiell als journalistische Aufgabe, wenn man Infos bekommt, die die Öffentlichkeit nicht kennt, diese aufzuzeigen. Wir haben aufgedeckt, was nicht ermittelt worden ist", so Schmitt weiter.

ÖVP sieht sich bestätigt

Die ÖVP sieht indes ihre Bedenken gegen den Untersuchungsausschuss bestätigt. "Mit jedem Tag wird deutlicher, dass der Datenschutz und die Einhaltung des Amtsgeheimnisses im Untersuchungsausschuss leere Worte sind", sagte der VP-Fraktionschef im U-Ausschuss, Helmut Kukacka, am Freitag. Er fordert daher eine Schiedsstelle zwischen Ausschuss und Ministerien über den Umfang der Aktenlieferung. Die ÖVP steht im U-Ausschuss auf der Position, dass sensible personenbezogene Daten nicht ans Parlament übermittelt werden sollen.

Die Sprecherin von Innenminister Günther Platter hat am Samstag betont, dass das Ministerbüro nie über Ermittlungsakten zum Fall Kampusch verfügt und auch jetzt keinen Zugriff darauf habe. "Im Innenministerium sind alle Akten zum Fall Kampusch bei der Evaluierungskommission", sagte Platter-Sprecherin Iris Müller-Guttenbrunn zu den Aussagen von SPÖ-Sicherheitssprecher Rudolf Parnigoni.

Platter hielt bisher die Personalakten zurück, auf deren Grundlage der Ausschuss dem Vorwurf der ÖVP-Parteibuchwirtschaft in der Polizei nachgehen will. Die anderen Parteien fordern dagegen die Herausgabe der Unterlagen und verweisen darauf, dass der Untersuchungsausschuss ohnehin zur Einhaltung des Datenschutzes ("Amtsverschwiegenheit") verpflichtet sei.

Prammer: "Klarheit schaffen"

Für Nationalratspräsidentin Barbara Prammer ist die Weitergabe von Teilen des Kampusch-Aktes "letztklassig". Dass die Daten aus dem Parlament stammen könnten, könne sie zwar nicht ausschließen, betont Prammer. Gleichzeitig kritisiert sie, dass das Parlament in diesem Fall ohne Beweise zum Hauptverdächtigen erklärt wurde. "Indiskretionen können an vielen Stellen erfolgen. Es sind alle Stellen gefordert, hier Klarheit zu schaffen", sagte Prammer. Sie versichert, "dass wir alles getan haben, um die Sicherheit zu gewährleisten". Sollte jemand im Parlament eine Indiskretion begangen haben, dann würde das die eigene Arbeit infrage stellen, warnt die Nationalratspräsidentin.

Prammer lässt nun recherchieren, ob die an die Medien weitergegebenen Informationen im Parlament überhaupt vorliegen. "Ich will wissen, was wir haben und was nicht", so die Nationalratspräsidentin. Dass die Veröffentlichung von Teilen des Kampusch-Aktes ein Argument für die schleppende Akten-Übermittlung durch Innenminister Günther Platter sein könnte, glaubt Prammer nicht. "Das Parlament hat per Verfassung einen umfassenden Kontrollauftrag gegenüber der Exekutive und den Ministern. Der ist nicht zu hinterfragen", so die Präsidentin. Klar sei jedenfalls, dass die Bestimmungen in Verfassung und Datenschutz einzuhalten seien.

Pilz: "Das ist das Letzte"

Kritik an der Veröffentlichung der Daten kommt vom Grünen Sicherheitssprecher Peter Pilz. "Das ist das Letzte, was da passiert", sagte Pilz. Dass SPÖ, Grüne, FPÖ oder BZÖ ein Motiv hätten, die Akten weiterzugeben, glaubt er nicht. "Das nützt ausschließlich der ÖVP und den Versuchen, dem Parlament keine Akten zu übermitteln", sagte das Grüne Mitglied im U-Ausschuss. Er fordert nun eine zivil- und strafrechtliche Handhabe von Opfern gegen derartige Veröffentlichungen. Einziger Nutznießer einer Veröffentlichung sei die ÖVP. "Das heißt nicht, dass das von dort kommen muss, aber Sie werden verstehen: Bei den anderen Fraktionen, die die Untersuchung (der strittigen Innenministeriums-Akten, Anm.) wollen, kann ich kein Motiv erkennen." (red/APA)