Frage: Wie groß ist die Finanzlücke der Krankenkassen?

Antwort: Das Defizit aller Gebietskrankenkassen beträgt 428,9 Millionen Euro, der Hauptverband rechnet 2012 mit einem Minus von 574 Millionen. Rechnet man die Sonderversicherungsträger (Bauern, Gewerbetreibende, Eisenbahner, Beamte) dazu, steigt der Betrag auf 626 Millionen Euro an.

Frage: Können Kassen pleitegehen?

Antwort: Theoretisch ja, praktisch kaum. Die Kassen sind überzeugt, dass es eine Ausfallshaftung des Bundes gibt – so wie bei den Pensionsversicherungen. Formal kann eine Insolvenz beantragt werden, praktisch hat es die Regierung in der Hand, den Kassen zu helfen. Oder umgekehrt: Gehen die Kassen pleite, dann nur, wenn es politisch beabsichtigt ist.

Frage: Was kostet das Gesundheitssystem wirklich?

Antwort: Österreichs Gesundheitsausgaben lagen zuletzt bei 26 Milliarden Euro, die Pflege eingerechnet bei 10,2 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Der Bund gab zuletzt 0,87 Milliarden für Gesundheit aus, Länder und Gemeinden für Spitäler etwas mehr als fünf Milliarden Euro. Rund sieben Milliarden Euro zahlen die Menschen aus eigener Tasche für Leistungen, die vom öffentlichen System nicht bezahlt werden. Die Ausgaben der Krankenkassen lagen bei 13,2 Milliarden Euro pro Jahr, davon ging ein Drittel an die Länder und Gemeinden, um deren Spitäler mitzufinanzieren. Die Krankenkassen werden paritätisch von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu 3,8 Prozent finanziert. Dieser Beitragssatz ist in den letzten Jahren kaum erhöht worden. Mit einem Beitragssatz von 7,65 Prozent liegen die Kassenbeiträge bei Arbeitern „nur“ um 0,3 Prozentpunkte höher als vor 45 Jahren.

Frage: Wie funktioniert die Selbstverwaltung der Krankenkassen?

Antwort: Die Kassen werden von Versicherungsvertretern autonom verwaltet. De facto reden diese aber nur bedingt mit, weil die Interessenvertretungen (Arbeiterkammer, ÖGB, Wirtschaftskammer, Landwirtschaftskammer) Vertreter in die Organe der Sozialversicherungen entsenden. Diese führen die Geschäfte weisungsfrei. Der Staat hat ein Aufsichtsrecht. Der Hauptverband ist eine gemeinsame Einrichtung aller Kassen, die etwa die Medikamentenpreise verhandelt. Sind sich die Kassen uneinig, hat der Hauptverband wenig Spielraum. Umgekehrt sind aber die Kassen beschränkt, da ihnen die Rahmenbedingungen vom Parlament vorgegeben werden. Dies hat zuletzt auch der Rechnungshof angemerkt, der kritisiert hat, dass die Politik den Kassen Leistungen vorgegeben hat, ohne sicherzustellen, dass auch die Mittel vorhanden sind.

Frage: Gibt es heute schon eine Zwei-Klassen-Medizin?

Antwort: Ja. Mit Zusatzversicherungen kann man sich Wartezeiten verkürzen. Der hohe Privatanteil an den Gesundheitsausgaben von fast 30 Prozent zeigt aber auch, dass es Menschen mit höherem Einkommen leichter haben. Es gibt auch eine Zwei-Klassen-Gesundheit:_Studien belegen, dass Menschen mit niedrigem Einkommen auch eine geringere Lebenserwartung haben. Menschen mit einem Monatseinkommen von 1500 Euro leben durchschnittlich neun Jahre kürzer als jene, die 4500 Euro verdienen.

Frage: Wer ist schuld an der Kassenmisere?

Antwort: Erstens: die Strukturen unseres Systems. Die Doppelgleisigkeit bei den Ausgaben zwischen niedergelassenem Bereich (den die Krankenkassen bezahlen) und den Spitälern (die von Ländern und Gemeinden finanziert werden) ist enorm. Letztere wollen als Spitalsfinanciers Leistungen zu den Krankenkassen auslagern und auch umgekehrt, also nach dem Prinzip von "Verschiebebahnhöfen".

Zweitens: der medizinische Fortschritt. Krankheiten, die früher unheilbar waren, werden durch neue Medikamente zu chronischen Erkrankungen. Beispiel Krebs: 1970 sind noch 50 Prozent der Betroffenen innerhalb von fünf Jahren gestorben, heute leben 80 Prozent der Erkrankten länger als 20 Jahre.

Frage: Kosten Ärzte zu viel?

Antwort: Nicht unbedingt, sie verursachen nur enorme Folgekosten, wenn sie entscheiden, welche Medikamente Patienten bekommen. Die Sozialpartner wollen hier mehr Transparenz. Auch die Zahl der Ärzte ist kostentreibend. Die Kassen gaben vier Milliarden Euro für Ärzte aus, ein Plus von 5,6 Prozent. Bei CT/MR-, Labor-, Dialyseinstituten erwarten die Sozialpartner eine Kostensteigerung von 6,3 Prozent.

Frage: Sind Spitäler zu teuer?

Antwort: Darüber gibt es kaum gesicherte Informationen. Fest steht, dass es im EU-Vergleich sehr viele Spitäler gibt und diese zu viel genutzt werden. In keinem anderen EU-Land ist die Zahl der Spitalsaufenthalte so hoch wie in Österreich. 50 Prozent der Gesundheitsausgaben entfallen auf die Spitäler.

Frage: Macht Wettbewerb das System billiger?

Antwort: Im Arzneimittelbereich schon, etwa durch das Verschreiben von Generika. Sonst ist man sich aber einig, dass das Gesundheitssystem nicht nach marktwirtschaftlichen Kriterien funktioniert. Was schon bei der Reparatur eines Autos Probleme schafft, nämlich zu beurteilen, was nötig ist, und wie viel es kosten darf, ist bei der Reparatur von Menschen um ein Vielfaches problematischer. Im Ernstfall sind Patienten weniger Kunden als Bedürftige, die Hilfe suchen. Generell sind Systeme mit hohem Wettbewerb teurer. Beispiel Deutschland: Dort hat der Wettbewerb zwischen den Kassen das System teurer gemacht. Allerdings machen sie dort kein Defizit.

Frage: Werden die Kassenbeiträge steigen?

Antwort: Das ist nicht zu erwarten, die Beiträge wurden erst kürzlich erhöht.

Frage: Was bedeutet Finanzierung aus einer Hand?

Antwort: Ein Hauptproblem des Gesundheitssystems sind die vielen undurchsichtigen Geldströme. Vor allem zwischen Ländern und Gemeinden gibt es Überschneidungen. Die Krankenkassen zahlen 3,75 Milliarden Euro pauschal für die Spitalsfinanzierung, der Rest kommt von den Spitalsträgern. Da die Kassen einen Pauschalbetrag zahlen, haben sie kein Interesse, dass möglichst viele Leistungen in Spitälern erbracht werden, da das keine Mehrkosten verursacht. Länder und Gemeinden wiederum versuchen, Leistungen aus dem stationären Bereich in den niedergelassenen zu verlagern, um Kosten zu sparen. Die Idee ist also, alle Gelder in einen Topf fließen zu lassen, aus dem alle Gesundheitsleistungen bezahlt werden. Leistungen sollen dort erbracht werden, wo die Qualität am besten ist und die Kosten am geringsten sind. Ob die Krankenkassen diesen Topf verwalten oder die Länder und Kassen gemeinsam, ist noch offen.

Frage: Was müsste passieren, damit sich im Gesundheitswesen substanziell etwas ändert?

Antwort: Die Finanzierung aus einer Hand ist eine wichtige Grundvoraussetzung. Allerdings wehren sich vor allem die Länder, Gelder – und damit Macht – aus der Hand zu geben. Ein Zurückdrängen des Föderalismus würde, so behaupten Experten, viele Probleme lösen. Wichtig ist die Schaffung von Transparenz. Das Gesundheitswesen ist heute extrem undurchsichtig, wodurch Steuerung und Kontrolle nur schwer möglich ist. Man weiß heute nicht definitiv, wofür Geld ausgegeben wird. (Martin Rümmele und Karin Pollack/DER STANDARD, Printausgabe, 21.4.2008)