Aus Datenschutzgründen unkenntlich gemacht: Will sich Innenminister Platter der Kontrolle entziehen?

Foto: DER STANDARD/Matthias Cremer
Es ist weder zum Lachen noch zum Weinen, es ist nur noch zum Stöhnen. Die mit gehöriger medialer Begleitmusik veranstaltete politische Rangelei zwischen Parlament und Innenminister lässt aus den Augen geraten, worum es geht. Das Parlament hat beschlossen, sich die Vorgänge im Innenministerium genauer anzuschauen. Es ist ausschließlich Sache des Parlaments, darüber zu befinden, welchen Teil der Verwaltungstätigkeit es genauer in Augenschein nimmt. Das Parlament ist vollständig frei, bestimmte Dinge des Gesetzesvollzugs auf diese Art zu untersuchen.

Diese Freiheit aber wäre nichts wert, wenn die Verwaltung bestimmen dürfte, in welchem Ausmaß dem Parlament Einschau in ihr Handeln gewährt wird. Es darf deshalb auch nicht Sache des Innenministers sein zu bestimmen, welche Akten bzw. Aktenteile er herausgibt und welche er für sich behält. Das hat nicht nur rechtsstaatliche Gründe, sondern vor allem auch forensische: Nur dann, wenn ich die berechtigte Vermutung habe, dass der vorliegende Aktenbestand vollständig ist, kann ich die einzelnen Aktenvorgänge im Hinblick auf den Gesamtzusammenhang bewerten und alle einzelnen Teile "ins richtige Licht" setzen. Oder anders: Die Bewertung einzelner Aktenteile kann nicht isoliert erfolgen, sondern immer nur im Hinblick auf alle anderen behördlichen Vorgänge.

Werden einzelne Aktenteile von der Einsicht durch das Parlament ausgeschlossen, dann ist auch dessen Bewertung des übergebenen Rests nicht mehr möglich. Es ist sicher richtig, dass jede Weitergabe von Akten das Risiko unbefugter Weitergabe erhöht. Es spricht daher viel für die derzeitige Regelung, dass diejenigen Personen, die im Untersuchungsausschuss mit der Untersuchung der Behördenakten zu tun haben, ans Amtsgeheimnis gebunden sind. Das Amtsgeheimnis und auch der Datenschutz sind aber nicht die höchsten Güter - sie sind relativ.

Der OGH hat erst unlängst (4 Ob 230/07 p vom 22. 1. 08) ausgesprochen, dass vor dem Forum des Untersuchungsausschusses jedes Geheimnis und jede Vertraulichkeit ein Ende finden, wenn der Untersuchungsausschuss Entsprechendes beschließt: Die vertrauliche Behandlung von Akten und persönlichen Daten darf dann unterbleiben, weil der Gesetzgeber mit der Einführung der Medienöffentlichkeit durch Art. I Z 20a der Novelle zum Geschäftsordnungsgesetz des Nationalrats 1988 (Einfügung des § 33 Abs. 3) dem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit entsprechen wollte und dieses gerade bei Untersuchungsausschüssen des Nationalrats in hohem Maß besteht. Das war der Grund, warum Peter Pilz berechtigt war, die Steuerakten der Rumpold-Firma zu veröffentlichen.

Dass sich nunmehr gerade der Innenminister als Siegelbewahrer des Datenschutzes geriert, ist also nicht nur im Hinblick auf die letzten Vorschläge aus dieser Richtung (Online-Fahndung etc.) bizarr - es ist auch insofern rechtsstaatlich bedenklich, weil er offenkundig nicht zureichend vertraut ist mit dem, was ein Untersuchungsausschuss soll. Das geltende Recht gibt genügend Möglichkeit für Betroffene, sich gegen die unerlaubte Verwendung von Aktenteilen zu wehren, dies aber sind Rechte, die den Betroffenen zustehen - und diese bedürfen sicher nicht des Innenministers als ihres Sachwalters.

Niemand soll es wissen

Die Frage wäre ganz anders zu stellen: Würde es in Österreich ein funktionierende Informationsrecht geben, dann wüssten wir alle, welche persönlichen Daten gespeichert sind und welche Amtshandlungen die Behörde im Hinblick auf unsere Person gesetzt hat. Vielleicht zieht der Gesetzgeber ja einmal die Lehre aus der Praxis anderer Länder und schwingt sich zu einem "Freedom of Information Act" auf, wie es ihn in angloamerikanischen und skandinavischen Ländern gibt. Das Spielchen, dass unser Innenminister derzeit treibt, läuft darauf hinaus, niemanden wissen zu lassen, was im Arkanbereich polizeilicher Nachforschungen und täglichen Verwaltungshandelns so getrieben wird: Den Betroffenen sagt man nichts, weil einem Auskunftsersuchen der Datenschutz nicht genannter Dritter entgegenstünde, und dem Parlament sagt man nichts, weil der Datenschutz der Betroffenen betroffen wäre - man will Herr der Akten bleiben und sich der Kontrolle so weit es geht entziehen.

Also: Gewiss darf und soll die Öffentlichkeit nicht alles wissen, was es über uns zu erfahren gibt. Aber ebenso gewiss sind unsere Geheimnisse und unsere Daten bei der Polizei nicht prinzipiell besser aufgehoben als im Parlament. Es ist eine Frage der Verwaltungspragmatik, wie man die Herausgabe von Behördenakten an den Untersuchungsausschuss gestaltet. Aber die Priorität bei der Behandlung der damit in Zusammenhang stehenden Fragen muss der Verfolgung des parlamentarischen Untersuchungsziels zukommen. Nur dann, wenn gewährleistet ist, dass dem Untersuchungsausschuss die Akten vollständig übermittelt werden, die er aus seiner Sicht zur Untersuchung des Verwaltungshandelns benötigt, macht ein Untersuchungsausschuss überhaupt Sinn.

Wollte man die Tätigkeit des Untersuchungsausschusses auf diejenigen Vorgänge und Aktenteile beschränken, die ihm von der Verwaltung "freiwillig" gegeben werden, dann könnte man sich die ganze Veranstaltung sparen. Es ist offensichtlich, dass die ÖVP mit dem Untersuchungsausschuss keine Freude hat - aber die Verweigerung der vollständigen Aktenübermittlung ist der rechtlich und politisch bedenklichste Weg, sich für die Abstimmungsniederlage bei der Einsetzung des Untersuchungsausschusses zu rächen. (DER STANDARD, Printausgabe, 22.4.2008)