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Angehörige der Volksgruppe der Uiguren auf einem Markt in Hetian, Provinz Xinjiang.

Foto: Reuters/Elias
Peking/Wien - In China leben 56 anerkannte nationale Minderheiten, die laut amtlichen Angaben zusammen 8,4 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen. 91,6 Prozent sind Han-Chinesen(Volkszählung 2005). Von den zahlenmäßig größten Minoritäten mit stark religiös geprägter Identität sind die Mongolen, die Tibeter und das muslimische Turkvolk der Uiguren historisch und kulturell eigenständige Nationen. Die Entladung antichinesischer Ressentiments wie gegenwärtig in Lhasa war immer dann besonders explosiv, wenn sich das Streben nach Selbstbestimmung mit religiösen Momenten verband.

Nach der kommunistischen Machtübernahme und der Errichtung der Volksrepublik China im Jahr 1949 wurden in den nordwestlichen und südwestlichen Randgebieten fünf sogenannte Autonome Regionen auf Provinzebene geschaffen: die Innere Mongolei, Xinjiang (Sinkiang) für die uigurische Nationalität Ostturkestans, Guangxi für die weitgehend assimilierte Zhuang-Nationalität, Ningxia für die muslimische Hui-Nationalität und Tibet (Xizang).

Die erst 1965 - sechs Jahre nach der Niederwerfung des Volksaufstands und der Flucht des Dalai Lama - eingerichtete Autonome Region Tibet ist 1,2 Millionen Quadratkilometer groß, aber wesentlich kleiner als das alte Tibet, das große Teile der heutigen Provinz Qinghai und den Westen der Provinz Sichuan umfasste. Die autonomen Regionen gehören zu den Armenhäusern und Konfliktherden Chinas. Separatistische Rebellionen wurden mehrfach militärisch niedergeschlagen.

Parteilinie entscheidet Die geltende Verfassung von 1982 definiert China als "multinationalen Einheitsstaat", die autonomen Regionen sind "untrennbare und unveräußerliche" Teile der Volksrepublik. Auf dem Papier räumt das Gesetz über regionale Autonomie von 1984 den nationalen Minderheiten umfangreiche Freiheiten ein. Doch mangels einer unabhängigen Justiz hängt die Durchsetzbarkeit der Autonomiebefugnisse gänzlich von der Parteilinie ab, die auf Nivellierung ethnischer Unterschiede abzielt. So haben die regionalen Selbstverwaltungsorgane keinerlei Einflussmöglichkeit auf die Massenansiedlung von Han-Chinesen. Die Pekinger Zentrale misstraut nichtchinesischen Kadern, die regionalen Parteichefs sind ausnahmslos Han-Chinesen. In Tibet steht derzeit der 57-jährige Zhang Qingli, ein enger Vertrauter von Staats- und Parteichef Hu Jintao, an der Spitze der Parteiorganisation. Hu selbst hatte seine Karriere in den 1980er-Jahren als KP-Chef in Tibet begonnen.

Nach den extremen Formen von Unterdrückung und Zwangsassimilierung in der Zeit der "Kulturrevolution" (1966-76) hat die Reformpolitik der vergangenen Jahrzehnte eine ethnische Renaissance bewirkt. Gleichzeitig vertiefte sich die Kluft zwischen armen und wohlhabenden Landesteilen, das Entwicklungsgefälle nahm zu. Die kommunistische Führung hat ihre Entschlossenheit bekundet, ethnisch-religiöse Konflikte im Keim zu ersticken. Die Taktiken der Pekinger Minderheitenpolitik reichen von einem geduldig werbenden Beschwichtigungskurs bis zu Zwangsmaßnahmen, Unterdrückung und brutaler Niederschlagung von Freiheitsbestrebungen. In Xinjiang ist es seit 1990 immer wieder zu blutigen Unruhen gekommen. Zahlreiche "Konterrevolutionäre" wurden hingerichtet, Hunderte von Moscheen und Koranschulen geschlossen.

Neben den Uiguren leben auch Kasachen, Kirgisen und Tadschiken unter chinesischer Herrschaft. Der Umstand, dass ihre Landsleute in den früheren Sowjetrepubliken Zentralasiens selbstständig geworden sind, hatte die Unruhe in Xinjiang weiter verschärft. In der Region,in der sich Chinas Atomanlagen und Raketenabschussbasen befinden, erstarken panislamische und irredentistische Strömungen. (APA, red/ DER STANDARD Printausgabe, 23.4.2008))