Hummel: "... damit es morgen ein besseres 'Heute' gibt."

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Schon etwas gestrig (Oktober 2006), aber immer noch frisch: Das Satireblatt "Titanic" lotet die Grenzen der Ethik mit einer Paraphrase auf den medialen Kampusch-Hype aus.

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Und die Frage nach sinnvollen Sanktionen gegen schwarze Schafe in den Medien am Beispiel der "Heute"-Enthüllungen im Fall Kampusch: Ist journalistische Moral über ökonomische Impulse herstellbar?

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Es könne nicht unethisch sein, die Wahrheit zu schreiben, meinte jener Heute-Journalist, der die jüngsten Enthüllungen aus dem Privatleben von Frau Kampusch - darunter auch Arztgespräche - zu verantworten hat. Vom Gericht wird das Gratisblatt vermutlich schon bald eines Besseren belehrt werden. Denn natürlich ist die von der Verfassung geschützte Pressefreiheit kein Freibrief, Personen durch die Veröffentlichung intimer Details des Privatlebens zu demütigen. Auch dann nicht, wenn die Fakten stimmen, und auch dann nicht, wenn das Publikumsinteresse nach derartigen Sensationen groß ist.

Medienrechtlich liegt der Fall völlig klar, medienethisch nicht so ganz. Unter Ethik versteht man üblicherweise gemeinsame Anschauungen über gut/böse, akzeptabel/inakzeptabel innerhalb einer Kultur- oder auch Berufsgemeinschaft. Letztere, wie etwa Ärzte oder Rechtsanwälte, sanktionieren daher ethische Regelverstöße durch eigene Standesgerichtsbarkeit. Soziale Gemeinschaften bestrafen abweichendes Verhalten durch Ausgrenzung. Dadurch werden ethische Standards überhaupt erst aufrechterhalten. Selbstregulierung ersetzt Fremdregulierung und führt, wie dies etwa der Soziologe Norbert Elias beschrieb, zur Zivilisation.

Im österreichischen Journalismus lässt sich diese nur in Spurenelementen finden: Dass es seit Jahren keinen Presserat mehr gibt, wird bei vergleichbaren Anlässen von meist denselben sympathischen Berufsvertretern bedauert. Fraglos hätte ein bestehender Presserat die sensationalistische Ausschlachtung des Leidens eines Verbrechensopfers gerügt. Und dann? Dann hätten ein paar Qualitätsmedien diese Rüge gewiss zitiert. Und sonst?

Hätten sich die Verursacher dieses "Tiefpunktes der Berichterstattung", wie die Leseranwaltschaft formuliert, nach einer Schrecksekunde öffentlich entschuldigt, etwa tätige Reue durch Überweisung eines namhaften Betrages an eine karitative Organisation geübt und versprochen, so etwas nie wieder zu tun? Das ist eher unwahrscheinlich. Nach all dem, was man über bisherige Verletzungen journalistischer Berufspflichten weiß, wird es - mit oder ohne Presserat - auch zu keiner sozialen Ausgrenzung schwarzer Schafe im Journalismus kommen. (Auch wenn natürlich ein Presserat, der moralisch verurteilen kann, besser ist als resignierendes Schulterzucken, weil damit wenigstens symbolisch Grenzen aufgezeigt werden.)

Das aber wird die journalistische Freiheit auf Sicht erst recht gefährden: Medien haben bei der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgabe gerechtfertigter Weise einige Privilegien. Dazu gehört beispielsweise auch die Deckelung der Entschädigung bei Kränkungen von Personen mit zwanzigtausend Euro. Je häufiger und je eklatanter schutzwürdige Persönlichkeitsrechte verletzt werden, umso wahrscheinlicher werden derartige Sonderregelungen zum Schaden des gesamten Journalismus infrage gestellt.

Vielleicht sollte man das Problem der journalistischen Ethik daher neu andenken: In einer Zeit fortschreitender Ökonomisierung des Medienbereichs, dessen vorläufigen Etappensieg die Gratismedien darstellen, ist journalistische Ethik vermutlich in erster Linie über ökonomische Impulse herstellbar:

Die Inserenten haben, zumal bei Gratismedien, eine Mitverantwortung, wenn durch Sensationalismus auf Kosten von Einzelpersonen die Reichweiten ihrer Werbeschaltungen gesteigert werden. Den Markenartiklern und Dienstleistern, die in Medien inserieren, die regelmäßig journalistische Berufspflichten missachten, ist daher die Frage zu stellen, ob ein derartiges Umfeld mit ihrem eigenen Image und dem ihrer Firmen vereinbar ist, und nahezulegen, daraus Konsequenzen ziehen. Unter dieser Voraussetzung würde es vielleicht schon morgen ein besseres "Heute" geben. (Roman Hummel, DER STANDARD; Printausgabe, 24.4.2008)