Für Caritas-Präsident Franz Küberl sind mit dem Eisernen Vorhang die Schranken der Gier gefallen. Das Bankwesen hält er für eine säkulare Glaubensgemeinschaft, die nur an sich und Geld denkt.

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Warum die Österreicher sich wie Neureiche benehmen, und wo er für Klonen ist (im ORF), setzte er Renate Graber auseinander.

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STANDARD: Ich habe Ihnen etwas mitgebracht.

Küberl: Das ist das erste Mal, dass ich bei einem Interview ein Geschenk bekomme, danke.

STANDARD: Sie müssten das jetzt bitte aber aufmachen. Gehört dazu.

Küberl: Ich habe gelernt, dass man damit wartet, sonst sei das ein Neugierelement.

STANDARD: Hier dürfen Sie. Inzwischen könnten Sie mir verraten, mit wem Sie tarockieren. Habe ich nicht herausgefunden.

Küberl: Mit verschiedenen Leuten, etwa Journalisten von der Presse oder vom ORF. Übers Tarockieren kommt man viel herum. Das ist gut, weil ich da viele interessante Leute kennenlerne. Ich bin ja weder Freimaurer, noch CVer oder Golfer. Wobei: Ich möchte nicht tauschen.

STANDARD: Stichwort "Presse": Über Sie sagt niemand Böses. Sind Sie so ein guter Mensch? Oder doch einer der Gutmenschen, vor denen man sich wegen ihrer Rezepte für die Armutsbekämpfung besser fürchten sollte, wie Presse-Chef Fleischhacker jüngst sinngemäß schrieb?

Küberl: Guter Mensch? Das würde ja bedeuten, dass ich schon im Stand der Heiligkeit wäre, und das bin ich sicher nicht. Aber mit dem Prädikat "Gutmensch" habe ich kein Problem, als Standardformulierung für Leute, die sich für andere engagieren. Wer in der Caritas ist, kann ruhig ein Gutmensch sein. Ich finde die Frage spannender, was die sind, die keine Gutmenschen sind.

STANDARD: Schlechte Menschen?

Küberl: Ich weiß es nicht. Ich rate nur jenen, die Gutmensch als Kampfbegriff verwenden, sich zu überlegen, wie sich selbst definieren wollen. (Hat das Geschenk ausgepackt.) Cartoons von Gerhard Haderer: "Alles Essen". Passend.

STANDARD: Ich bleibe noch kurz beim Klischee: Als Gutmensch sind Sie auch gegen Globalisierung?

Küberl: Globalisierung heißt ja nur, dass die Armen wissen, wo die Reichen wohnen. Dieser Geist ist aus der Flasche, den bringt keine Partei mehr zurück, den kann man nicht mit elektronischen Zäunen abwehren. Wir müssen schauen, dass wir etwas vergleichbarere Verhältnisse auf der Welt zustande bringen. Und ich meine damit nicht, dass in jedem Dorf der Welt ein Hotel Imperial stehen muss.

STANDARD: Angela Merkel erklärt die Nahrungsmittelkrise damit, dass die Menschen in den Schwellenländern jetzt zwei Mal am Tag essen. Etwas zynisch, oder?

Küberl: Da kommt viel zusammen. Missernten, ungenügende kleinbäuerliche Landwirtschaft in vielen Schwellenländern, schlechte Bodenbewirtschaftung auf schlechten Böden. Es ist aber auch richtig, dass mehr Wohlstand dazu führt, dass mehr Fleisch gegessen wird – und für jedes Kilo Rindfleisch braucht es im Schnitt sieben Kilo Getreide.

STANDARD: Schwierig, wenn Wohlstand Huger produziert.

Küberl: Wäre ja Irrsinn, wenn es so wäre. Fleisch essen an sich stellt ja keinen Missbrauch, keine Wollust des Überflusses dar. Die Frage ist, wie man produziert und wo man nachbessert. Der so genannte freie Welthandel verdient ja seinen Namen nicht: Den gibt es erst, wenn so viel erzeugt wird, wie gebraucht wird. Ich weiß nicht, ob die Welthandelsorganisation WTO sich je überlegt hat, welche Maßnahmen zu setzen sind, wenn mehr Menschen wohlhabender werden.

STANDARD: Gerade die Agrarmärkte sind doch sehr reguliert, man kann nicht so einfach Bauer werden, wenn man sieht, dass die Preise steigen. Ist nicht das das Kernproblem?

Küberl: Die Frage stellt sich doch eher im Norden der Welt: Wir haben einen ungestümen Überfluss und Überschuss und kein Management des Überflusses.

STANDARD: Stichwort: Supermärkte, die Tonnen an Gebäck wegwerfen...

Küberl: ...in Wien soviel, dass man ganz Graz davon ernähren könnte. Und das passiert systematisch. Schauen Sie sich das einmal aus dem Süden an, was das für die, die wenig haben, bedeutet. Man wird sich schon fragen müssen, ob eine Spur der Eindämmung von Verschwendung nicht auch ein Grundmaß an Klugheit wäre. Wir leben in einer falschen Welt. Als die Leute in Österreich nichts zu essen hatten, gab es 163 Fasttage im Jahr, heute bemühen sich ein paar Leute, in der Fastenzeit weniger Alkohol oder Kaffee zu trinken oder ein Kilo abzunehmen. Das ist das Drama: Wir leben in einer vollkommen verkehrten Welt.

STANDARD: Ich gebe zu, ich habe das Café hier ausgewählt. Mit dem, was wir hier für den Kaffee zahlen, kann ein Äthiopier einen Tag leben...

Küberl: Nein, er könnte einen Tag seine ganze Familie ernähren...

STANDARD: Was tun? Sie haben es gut, Sie werden dafür bezahlt, Gutes zu tun; eine wie ich kann nur ein schlechtes Gewissen haben und spenden.

Küberl: Immerhin, Sie haben ein Gewissen. Das Gefährliche sind Menschen, die keines haben.

STANDARD: An wen denken Sie?

Küberl: An manche Neureiche und Leute, die glauben, dass es einen ungestörten Fruchtgenuss des Reichtums gibt. Und dann gibt es in Österreich eine Schicht von Wohlhabenden, die moralisch eine Art Unterschicht darstellen. Natürlich gibt es auch sehr viele, die helfen.

STANDARD: Wer ist denn neureich?

Küberl: Österreich ist insgesamt ein neureiches Land, viele Leute müssen den Umgang mit Wohlstand erst lernen; lernen, dass man teilen muss, damit man miteinander überleben kann.

STANDARD: Wir spenden aber doch so brav für Licht ins Dunkel. Apropos: Sie sind ORF-Stiftungsrat. Ihre Lieblingssendung? Das Religionsmagazin "Kreuz&Quer"?

Küberl: "Kreuz&Quer" bis "Wir sind Kaiser.

STANDARD: Sie wollten immer einen ORF-Chef, der "ein Klon aus Gerhard Zeiler und Gerd Bacher ist", die halten Sie für "großartig". Wo steht ORF-Chef Alexander Wrabetz?

Küberl: Ja, an Zeilbacher muss sich jeder messen. Wrabetz? Hat noch viel zu tun, damit er in die Nähe kommt. Aber lassen Sie mich zu den Spenden der Österrreicher zurückkkommen: Es könnte noch mehr sein. Da spenden 600.000, 700.000 Leute, und ein ganzes Volk von sieben Millionen fühlt sich als Spenden-Weltmeister. Aber Fußballtrainer sind wir derzeit ja auch alle.

STANDARD: Spenden reicht Ihnen also auch nicht...

Küberl: Im Ernst: Es geht darum dass die Leute kapieren, dass sie nur ein paar Millimeter rücken müssen und so dazubeitragen können, dass das Leben anderer besser wird. Und weil Sie von mir reden: Ich schnaufe auch, wenn ich mit Leuten zu tun habe, denen es dreckig geht, die knapp am Verrecken sind.

STANDARD: Wenn nicht einmal Sie das aushalten...

Küberl: Ich will Ihnen nur erklären, in welcher Klemme auch wir Helfer stecken, ich habe auch keine Generallösungen. Natürlich ist Hungerhilfe notwendig, man kann nicht warten, bis sich die Leute die Köpfe eingeschlagen haben, wenn sie's vor Hunger noch schaffen. Man braucht bäuerliche Strukturen, Rechtssicherheit, Ausbildung, Infrastruktur, Bewässerungssysteme. Das Drama der Insuffizienz der Bewirtschaftung in Schwellenländern ist ja oft das Drama der Insuffizienz der staatlichen Strukturen. Und wir brauchen Transparenz auf den Märkten, um zu wissen, wie hoch der Spekulationsanteil an den Preisen ist.

STANDARD: Verstehe ich nicht. Selbst wenn, wie gesagt wird, beim Preisanstieg 20 Prozent Spekulation dabei ist: Getreide war wohl eines der ersten Spekulationsobjekte überhaupt.

Küberl: Ja, das wissen wir auch aus dem Römischen Reich; wobei sich dort auch die Senatoren um Gratisgetreide angestellt haben. Getreide dient der Ernährung der Menschen aber auch der Politik. In den Worten meines Glaubensbildes: Alle Spekulation erlischt erst mit der Vollendung der Welt, und das könnte noch ein bisserl dauern. Aber ein bisserl weniger könnt' es schon werden.

Wenn aus der Spekulation Wucherei erwächst, spüren das die, die Saatgut brauchen oder Getreide kaufen wollen, sehr. Und dass wir weltweit mehr Öl- als Getreidespeicher haben, halte ich für ein Entsetzlichkeitsbild. Ich kenne mich zwar in Niederösterreich nicht so aus, aber von unseren afrikanischen Projekten weiß ich, dass man mit 30 Euro helfen kann, solche Speicher in Dörfern zu bauen, da werden dann Genossenschaften gegründet, es wird Handel getrieben, die Leute können sich selbst versorgen. Bevor Sie es sagen: Nein, das ist nicht die Rettung der Welt, aber die Rettung eines Dorfes ist es schon.

STANDARD: Sie fordern eine "Friedensdividende": 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Entwicklungszusammenarbeit. Wir stehen nicht einmal bei 0,5 Prozent - würde das helfen, um den Hunger zu bekämpfen?

Küberl: Es würde dazu beitragen. Und die 0,7 Prozent wären das Ziel, aber es klappt und klappt nicht. Und zwar weil es den meisten Leuten egal ist, ob es anständige Entwicklungshilfe gibt oder nicht. Wäre es Ihnen nicht egal, würde die Politik etwas ändern.

STANDARD: Endet sinnvolle Entwicklungshilfe nicht dort, wo die Korruption beginnt – und das ist sehr bald?

Küberl: Natürlich ist die Korruption ein Riesenproblem, aber die Entwicklungshilfe hat sich sehr weiterentwickelt, auch die Caritas macht heute ganz andere Projekte als früher. Nehmen Sie auch die Entschuldung: Die Länder, denen Dollar oder Euro erlassen wurden, müssen den Gegenwert in Landeswährung in Bildungs- und Sozialprojekte stecken und Kontrollinstanzen zulassen. Da ist wirklich viel weitergegangen.

STANDARD: Im Zusammenhang mit Biosprit, dessen Sinnhaftigkeit angesichts des Hungers hinterfragt wird, sagen Sie "lieber langsamer fahren, dafür haben alle genug zu essen". Auch sehr plakativ, oder?

Küberl: Sagen Sie. Ich denke, es muss EU-weite ethische Regeln geben. Wir müssen sicherstellen, dass es wegen des Getreideanbaus für Biosprit-Zwecke nicht zu Lebensmittelverknappung kommen kann; die Flächen dafür dürfen nicht zulasten jener für den Anbau von Lebensmittelgetreide gehen. Es ist ja auch für die Bauern wichtig, dass sie nicht ihren Lebenszweck verkehren: Beim Bäuerlichen geht es darum mitzuhelfen, dass Menschen leben können – und nicht, dass Menschen nur fahren, aber nicht essen können. Ich gehe da jetzt bewusst nicht auf den Umweltschutz ein, ist nicht mein Metier. Ich sehe es so: Es ist ein Grundrecht sich zu ernähren - mit einem Auto fahren zu können, ist schon eine fortgeschrittenere Form des Rechts.

STANDARD: Lassen Sie mich noch den Gegenschnitt machen. Stichwort Gier, Geiz, Gehälter, Abfertigungen für gescheiterte Bosse...

Küberl: ... wir haben jedenfalls gerechtere Zustände als vor hundert Jahren. Aber der US-Hypothekenkrise sind mir schon die Grausbirn' aufgestiegen. Da wird deutlich, dass das Bankwesen eine säkulare Kirche, Religionsgemeinschaft ist.

STANDARD: Die woran glaubt?

Küberl: An sich und ans Geld.

STANDARD: Banker: lauter Gierale?

Küberl: Die Gier kann in jedem sitzen. Dass Manager beachtliche Prämien bekommen, auch wenn sie Mist gebaut haben, das braucht ein Klärungsmoment. Ich will keine Obdachlosen, Caritas-Klienten produzieren - aber dass Moral etwas anderes bedeutet als uns da vorgeführt wird, ist evident.

STANDARD: Was wäre moralisch?

Küberl: Den ständigen Versuch, darauf zu achten, das, was einem nicht selbst gehört sauber zu bewirtschaften. Seit der Eiserne Vorhang gefallen ist, sind viele Schranken der Gier gefallen. Bis in die Achzigerjahre hat man sich vor lauter Federn, ob der Kommunismus nicht doch stärker sein könnte, einer beachtlichen sozialen Dimension befleißigt. Vorbei.

STANDARD: Mit dem realen Kommunismus untergegangen?

Küberl: Es sind soziale Schranken gefallen. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso redet heute wieder sehr viel von der sozialen Dimension der EU. Das kommt nicht von ungefähr: Die Europäische Union wird sozial sein, oder sie wird gar nicht sein. Wobei: Brüssel kann nur dann sozial sein, wenn die Nationalstaaten das wollen.

STANDARD: Hat Ihr Freund Claus Raidl Recht, der sagt, "der liebe Herr Küberl ist das liberale Feigenblatt der erzreaktionären Kirche", die Caritas argumentiere "wie ein übergebliebener Kommunistenverein"?

Küberl: Ich bemühe mich so links zu sein, wie es das Evangelium ist, aber ich bringe es nicht zusammen. Also, mit Raidls Vorwürfen kann ich leben. Ich muss schmunzeln, weil Claus Raidl inzwischen das soziale Feigenblatt einer sehr wirtschaftsliberalen Schicht darstellt. Vielleicht hat er von mir mehr angenommen als ihm bewusst ist.

STANDARD: Worum geht's im Leben?

Küberl: Darum, dass das Leben für jeden glücken kann. Wenn einem das selbst geglückt ist, kann man anderen dabei assistieren, dass es ihnen auch gelingt.