Im Wettbewerb der brennendsten Nesseln, in die man sich in der politikwissenschaftlichen Analyse zu Israel zur Zeit setzen kann, gibt es einen unschlagbaren Favoriten. Akademisch formuliert geht der Nessel-Satz so: „Das Thema Iran kann nicht von ethnischen und religiösen Prozessen innerhalb der israelischen Gesellschaft sowie vom israelisch-arabischen Konflikt losgelöst betrachtet werden.“ Oder, etwas einfacher, aber nicht weniger scharf: „Hinter der Konstruktion der allergrößten Bedrohung Israels durch den Iran steckt die Vertuschung eigenen Versagens.“ Das und anderes sagt Haggai Ram, Historiker am Institut für Mitteloststudien an der Ben Gurion Universität des Negev in Beersheva, Israel.

Des Irreseins beschuldigt

Hier darf der Satz nicht fehlen, dass Ram im Gespräch mit dem Standard das iranische Atomprogramm und die Person von Präsident Mahmud Ahmadi-Nejad keineswegs bagatellisiert. Aber der Satz wird ihm (und auch der Überbringerin der Botschaft) nichts nützen, Ram wird trotzdem des Antisemitismus (beziehungsweise des jüdischen Selbsthasses), der Unterstützung von Holocaust-Leugnung, des Antizionismus sowieso, aber vor allem des Irreseins bezichtigt werden. Ram, der an einem Buch mit dem Titel „Iranophobie, die kulturelle Logik einer israelischen Obsession“ schreibt (siehe auch seinen Artikel in der Mai-Nummer des „International Journal of Middle East Studies“ der Cambridge University Press), ist indes nicht allein in der Szene. Der (inzwischen verstorbene) Baruch Kimmerling, Rams Institutskollegen Dror Zeevi und Yossi Yonah und andere verweigern den israelischen Mainstream-Umgang mit dem Thema Iran. Aber viele sind sie nicht. Rams Hauptpunkte betreffen, wie eingangs erwähnt, Israels sich wandelndes ethnisches und religiöses Make-up, das Ängste vor dem „Eindringen des Mittleren Ostens“ (Shinui-Parteichef Yosef Lapid nannte es einmal den „levantinischen Misthaufen“) auslöst, die nach außen umgeleitet werden. Eine weitere Beobachtung ist die für manche israelische Politiker willkommene Ablenkung vom Nahost-Friedensprozess (wobei Ram eine „Iranisierung“ der Palästinensern im israelischen Bewusstsein feststellt). Und im amerikanischen „war on terror“ nach 9/11 dient der Iran Israel als „wesentliches deskriptives Instrument“, das Israel hilft, dazuzugehören.

Kommunikationsmittel Atom

Besonders scharf kritisiert Ram, wie die Wahrnehmung des Libanon-Kriegs im Jahr 2006 in der israelischen Öffentlichkeit manipuliert wurde: Wenn man nicht gegen eine Guerilla (die Hisbollah) kämpft, sondern gegen einen Iran, der einen vernichten will, dann ist die Verhältnismäßigkeit der Mittel, die sonst geboten wäre, aufgehoben. Die ganz eigene Geschichte der Krise wird ausgeblendet. Wie die anderen Autoren auch plädiert Ram dafür, sich die Gründe für das iranische Atomprogramm genauer anzusehen, das er als „Art von Dialog zwischen Israel und Iran“ sieht, auch die – gegenseitigen – Bedrohungen. „Strategisch gesprochen, kann der Iran gar nicht anders, als sich Atomwaffen zuzulegen“, sagt Ram – übrigens, Pakistan habe schon welche, vor denen sich in Israel aber niemand zu fürchten scheint.

Banalisierung des Holocaust

Aber da kommen ja auch keine verbalen Vernichtungsdrohungen her, wäre wohl der Einwand. Ram: Der Iran sei nicht auf die Person Ahmadi-Nejads zu reduzieren, und der sitze auch nicht am Drücker. Und: Er sei auch nicht Hitler. Den Holocaust zu einem politischen Instrument zu machen, das ist es doch, was Ahmadi-Nejad will, muss man da mitspielen? Der Preis ist jedenfalls hoch: die Banalisierung, die Deflation der Shoah. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, Printausgabe, 30.4.2008)