Ankara - Das türkische Parlament hat die umstrittene Strafrechtsbestimmung zur "Verunglimpfung des Türkentums" geändert. Die Abgeordneten stimmten in der Nacht auf Mittwoch in Ankara mit 250 zu 65 Stimmen für den von der Regierung von Premier Recep Tayyip Erdogan unterstützten Vorschlag, den Artikel 301 des Strafgesetzbuches zu reformieren. Nach der Reform steht nicht mehr die "Beleidigung des Türkentums" unter Strafe, sondern die "Beleidigung der türkischen Nation". Die Höchststrafe sinkt von drei auf zwei Jahre und kann bei Ersttätern zur Bewährung ausgesetzt werden. Der Justizminister muss Ermittlungen nach Artikel 310 zustimmen. Staatspräsident Abdullah Gül muss den Text unterzeichnen, bevor er in Kraft gesetzt werden kann.

Die Abgeordneten der regierenden islamischen Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (AKP) von Ministerpräsident stimmten für die Reform, die kemalistische und nationalistische Opposition votierte dagegen. Sie wollte das Gesetz in seiner alten Form erhalten und forderte eine Volksabstimmung. Gegner des Artikels 301 forderten seine Abschaffung und erklärten, die Änderungen seien nur kosmetisch und hätten keinen Einfluss auf die Verhandlungen über eine EU-Mitgliedschaft der Türkei.

Auf Grundlage von Artikel 310 wurde unter anderen der Schriftsteller Orhan Pamuk strafrechtlich verfolgt. Die EU hat die Türkei wiederholt zur Änderung des Gesetzes aufgefordert. Die Gesetzesreform ist eine der wesentlichen Voraussetzungen für Fortschritte in den Gesprächen über eine Aufnahme der Türkei in die Europäische Union.

Opposition erneuert Kritik

In der Schlussdebatte im Parlament erneuerte die Opposition ihre Kritik an der Novelle. Die kemalistische Republikanische Volkspartei CHP von Oppositionsführer Deniz Baykal und die nationalistische MHP werfen der Regierung vor, unter dem Druck der EU zu handeln und den "Beleidigungen des türkischen Staates Tür und Tor zu öffnen". Ein MHP-Politiker sagte, die Regierung Erdogan bezahle mit der Liberalisierung des Gesetzes dafür, dass die EU das vor dem Verfassungsgerichtshof eingeleitete Verbotsverfahren gegen die Regierungspartei AKP wegen angeblicher Nichteinhaltung der laizistischen Grundprinzipien der Republik kritisiert habe.

Dagegen sind Vertreter des Reformlagers in der Türkei der Ansicht, die Änderungen gingen nicht weit genug. Der Istanbuler Politikwissenschafter Cengiz Aktar sagte, auch künftig würden weiterhin Prozesse aufgrund unliebsamer Meinungsäußerungen eröffnet. Die Istanbuler Menschenrechtsanwältin Eren Keskin kritisierte, die Änderung werde nichts am Inhalt des Gesetzes ändern und sei reine "Show". (APA/Reuters)