Noch unglaublicher ist die öffentliche Reaktion: Vertuschen, Verdrängen, Schweigen. Nach dem Tod des Peinigers kam wenigstens die Stiefmutter 2007 vor Gericht. Sie hatte Lydia unter anderem in siedendes Wasser geworfen und den Vergewaltigungen - manchmal drei pro Tag - anspornend beigewohnt; zudem hatte sie sich selbst an einem Sohn vergangen. Lydia Gouardo wünschte einen offenen Prozess. Seltsamerweise verwies das Gericht aber das Publikum vor die Tür.
Das Urteil war eine mehrjährige Haftstrafe, doch sie wurde auf Bewährung ausgesetzt. Das Berufungsgericht bestätigte den Schuldspruch vor zwei Wochen - nur wenige Zeitungen berichteten.
Bürgermeister: "Beschmutzen Sie Coulommes nicht"
Eine Journalistin der Zeitung Libération begab sich immerhin nach Coulommes, 60 Kilometer östlich von Paris. Der frühere Bürgermeister erklärte ihr: "Ja, ich wusste es, das ganze Dorf wusste es. Aber beschmutzen Sie Coulommes nicht. Was die Leute untereinander treiben, hat uns nicht zu beschäftigen." Lydia Gouardo erklärte ihrerseits: "Ich bin wütend auf meine Nachbarn. Einige wohnten schon damals dort und sagten nichts."
Am Unglaublichsten ist die Untätigkeit der Behörden. "Niemand wollte meine Geschichte hören", sagt die Frau, die kaum je zur Schule gegangen ist und heute mit ihrem Freund und ihren Kindern auf dem Bauernhof ihres Vaters lebt. Die Gendarmerie sei mehrmals alarmiert worden, habe aber nie reagiert. Beim Prozess gab es dazu keine Unterlagen - auch nicht vom Spital, wo das Mädchen mehrmals wegen Verbrennungen behandelt worden war. Ähnlich ging es ihr, als sie ihre Kinder gebar. "Wenn die Krankenschwestern fragten, wer der Vater sei, sagte ich, wie es ist. Niemand hat jemals reagiert."