Foto: Stadtkino
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Deborah Hoffmann und Frances Reid bieten mit ihrem Film "Long Night's Journey Into Day" Einblicke in die Arbeit der südafrikanischen "Wahrheits- und Versöhnungs-Kommission".
Von Isabella Reicher.
Wien - Die Bilder, die man jetzt zeigen werde, seien für sensible Menschen möglicherweise verstörend, warnt ein weißer TV-Nachrichtensprecher. Dann folgen Aufnahmen, die das Ende eines Polizeieinsatzes gegen bewaffnete schwarze Jugendliche zeigen. Blutüberströmte Leichen und dazwischen staatliche Sicherheitskräfte, die agieren, als würden sie eine Jagdstrecke inspizieren. Mehr als ein Jahrzehnt später werden den Müttern der damals getöteten "Guguletu Seven" diese Aufnahmen in einem Verhandlungssaal noch einmal vorgeführt. Die Jugendlichen waren von einem Agent Provocateur in einen Hinterhalt gelockt worden. Die Bilder, von einer Dokumentationseinheit der Polizei gemacht, setzen noch einmal mit ganzer Wucht Wut und Trauer und Ohnmacht frei. Später sitzen die Frauen einem der damals beteiligten schwarzen Polizisten gegenüber. Der Mann, der sich erklären und eine Aussöhnung herbeiführen will, stößt zunächst auf harsche Zurückweisung ("Wie es ihm geht, das ist seine Sache"). Bis dann doch eine der Frauen den Bann bricht und ihre Bereitschaft bekundet, ihren Frieden mit ihm zu machen. Den Rahmen für diese hochdramatische und bewegende Auseinandersetzung, die nicht zufällig an eine Form von Absolution erinnert, bietet die "Truth and Reconciliation Commission" (Wahrheits-und Versöhnungs-Kommission), die über Amnestieanträge von Tätern Verbrechen und Menschenrechtsverstöße in Südafrika zwischen 1960 und 1994 noch einmal aufrollt. Long Night's Journey Into Day haben die beiden US-Filmemacherinnen Frances Reid und Deborah Hoffmann ( Complaints of A Dutyful Daughter ) ihren Film über die Arbeit dieser Einrichtung genannt. Die TRC, 1995 von der Mandela-Regierung eingesetzt, ist keine Instanz der Rechtssprechung, sondern funktioniert mehr im Sinne einer institutionell angeleiteten Talking Cure. Es geht um ein Angebot zur Vergangenheitsbewältigung, an deren Anfang das Aussprechen steht. Man habe sich beispielsweise mit den Nürnberger Prozessen und der Aufarbeitung des Nationalsozialismus in Deutschland auseinander gesetzt, sagt eine TRC-Mitarbeiterin im Film, und man wolle sich, angesichts der nachhaltigen Auswirkungen des Apartheidregimes auf die Gesellschaft Südafrikas, nicht auf Gerichtsurteile alleine verlassen. Amnestie wird unter gewissen Bedingungen erteilt: Vor der Versöhnung steht nichts weniger als die Wahrheit - die Antragsteller verpflichten sich zur unumschränkten, wahrheitsgemäßen Aussage über ihren "Fall". Darin besteht auch das Versöhnungsangebot für die Opfer beziehungsweise deren Angehörige, die oft keine genaue Auskunft über Hintergründe und Abläufe erhielten. Mehr als 7000 Amnestieanträge wurden an die TRC gestellt. Vier Fälle stellt Long Night's Journey Into Day vor. Die beiden Regisseurinnen haben sich für einen exemplarischen Zugang entschieden, der sukzessive auch vier unterschiedliche Opfer-Täter-Konstellationen vorführt. Ihr Film nähert sich der Komplexität des Themas und der zugrunde liegenden, vielfältigen Verstrickung insofern wieder an, als hier vielen Stimmen Raum gegeben wird. So sitzen einander schwarze Opfer und weiße Täter ebenso gegenüber wie die Eltern einer weißen US-Studentin und Anti-Apartheid-Aktivistin den jungen Schwarzen, die sie 1993 erstochen haben. Wenngleich Long Night's Journey Into Day formal einer Reportage verpflichtet bleibt, gelingt es ihm zu vermitteln, dass dieses Projekt - aller Widersprüchlichkeit zum Trotz - ein Anfang sein kann. ( DER S TANDARD, Print-Ausgabe, 13. 9. 2000 )