Rekonstruktion eines Berges (oben): Die Chinesen haben’s abgetragen, die Niederländer sollen’s wieder gutmachen. Wo einst Kalkstein-Abbau betrieben wurde, füllt MVRDV die nackten Felswände nun mit Wohnhäusern auf. Rechts: Wohnhaus Parkrand in Amsterdam (Vorder- und Rückseite).

Fotos: Rob’t Hard (3), MVRDV, beyer.co.at

In der Wiener Donau-City (ganz oben) soll in den kommenden Jahren ein Wohnhaus entstehen. Ob MVRDV dabei so frei agieren können wird wie im Falle von Madrids Mirador (darunter), ist jedoch fraglich. Viele Füße drücken bereits auf die Kostenbremse.

Fotos: Rob’t Hard (3), MVRDV, beyer.co.at
Hugh Grant war einst "Der Engländer, der auf einen Hügel stieg und von einem Berg herunterkam". Kennen Sie den Film? Grant spielt darin einen Kartografen, der in das walisische Dorf Ffynnon Garw reist, um zu Dokumentationszwecken die Höhe des Dorfberges nachzumessen. Zu verständlich nur, dass es die Bevölkerung in ein Raunen stürzt, als sich der ganze Stolz der Menschen just als Hügel entpuppt. Um ein Äutzerl hat’s nicht gereicht. Was machen die Waliser? Sie krempeln die Ärmel hoch und schuften Tag und Nacht, um oben auf der Hügelkuppe Erde aufzuschütten. Am Ende hat man einen Berg.

Die chinesische Stadt Liuzhou lebt vom Kalkstein-Abbau. Ganze vier Berge hatte man bereits abgetragen und dem Erdboden gleichgemacht. Um die so entstandene Lücke mitten im Unesco-Weltnaturerbe wieder zu kaschieren, wurde das niederländische Büro MVRDV beauftragt, einen Entwurf für eine Wohnbebauung auszuarbeiten. Gewünscht hat man sich einen Masterplan für eine weiträumige und flach bebaute Stadt für die Reichen und Schönen. Bekommen hat man was anderes. "Mitten im Unesco-Gebiet ist es der Regierung gelungen, die Berge einfach abzutragen", sagt Architekt Winy Maas, einer der drei Köpfe von MVRDV, "und so haben wir uns für eine morphologische Rekonstruktion der alten Bergsilhouette entschieden." Das Ergebnis ist eine künstliche Architekturlandschaft, die in den alten Steinbruch geklemmt ist. Wie Geröll purzeln die Wohnboxen ins Tal hinab und versuchen wieder gutzumachen, was in jahrzehntelanger Arbeit zerstört wurde.

Für ungewöhnliche Wohnkonzepte ist MVRDV bekannt. Was der Engländer in Wales tat, das machen Winy Maas, Nathalie de Vries und Jacob van Rijs auf der ganzen Welt: Sie verhelfen den Orten zu Identität, geben den Menschen Abenteuer und Qualität. "Man kann mehr zustande bringen, als man glaubt", sagt Maas, blickt ins Publikum, setzt fort: "Ich kann Sie hören. Sie sagen gerade: Ja, aber das kostet Geld! Und ich sage: Ja, das stimmt. Doch es liegt ganz an Ihnen zu entscheiden, ob Sie diese Investition zugunsten der Identifikation auf sich nehmen oder nicht."

Madrid hat es auf sich genommen. Bürgermeister Alberto Ruiz-Gallardón war mit den sozialen Wohnbauten im nagelneuen Stadterweiterungsgebiet vor den Toren seiner Stadt wohl nicht so glücklich wie erwartet und kontaktierte daraufhin MVRDV: "Bitte ein Projekt in Blockrandbebauung!" Und Maas fragte: "Ist es das, was Sie wollen? Sozialer Wohnbau mit Fenstern im Wohnzimmer, die noch kleiner sind als Klofenster?" Prompt zog MVRDV kräftig am klassischen Häuserblock, richtete ihn schnurstracks in die Vertikale auf und verhalf dem Innenhof auf diese Art zu Höhe und Aussicht. Statt herkömmlicher Trennung zwischen geförderten Wohnungen und teurem Eigentum wurden die Wohneinheiten im Hochhaus Mirador einfach vermischt und ineinander verzahnt. "Wir wollen keine neue Apartheid, wir wollen die sozialen Schichten durchmischen."

Hohe Baukosten in Österreich

Und nun ist Wien an der Reihe. Für den Bauträger Austria Immobilien (BAI) plant MVRDV in der Donau-City ein Wohnhaus mit rund 200 Wohnungen, zur Hälfte gefördert, zur Hälfte frei finanziertes Eigentum. Bei der Wohnbau-Biennale, die am 24. April im Semper-Depot in Wien über die Bühne ging (kuratiert von Sabine Pollak, Maja Lorbek und Robert Temel), präsentierte Winy Maas seine ersten Entwürfe für den Wohnriegel – und dann zeigte er, was nach langem Hin und Her mit dem Bauträger daraus wurde. Die Unterschiede sind frappierend. "In Wien sind die Anforderungen an den Klimaschutz, an die Nachhaltigkeit und an die Statik enorm, besonders mühsam sind die Gespräche mit der Feuerwehr. Man muss sich genau überlegen, ob man das alles überhaupt bezahlen kann, wenn am Ende auch noch hochwertige Architektur herauskommen soll."

Die Renderings versprechen ein fesches Haus, keine Frage, doch dieses birgt nur noch einen Bruchteil dessen, was MVRDV ursprünglich geplant hatte. Große Löcher wie in Madrid oder Amsterdam spielt’s in Wien nicht, hier greift man auf die Miniaturvariante der kleinen Aussparungen zurück – und davon bitte nicht zu viele. "Eure Gebäudelöcher kosten zwischen 130.000 und 190.000 Euro pro Stück", sagt Maas, "das sind die teuersten Leerräume, von denen ich je gehört habe!"

Zudem ist die intendierte Vermischung der sozialen Schichten, wie sie MVRDV gefordert hatte, in der Zwischenzeit flöten gegangen. Thomas Jakoubek, Vorstand der WED und Eigentümer des besagten Grundstücks auf der Platte, erklärt: "Der geförderte Wohnbau ist in Österreich ein Nullsummen-Spiel. Auflagen, Vorschriften und Baukosten steigen permanent. Sie müssen als Bauträger schon froh sein, wenn Sie kein Minus bauen." Angesichts dieser Umstände ist man wieder dazu übergegangen, nach österreichischer Manier zu trennen: die Armen unten, die Reichen oben. "Ideologisch ist die soziale Vermischung innerhalb eines Hauses ein guter Ansatz, aber in Österreich ist das unrealistisch und unwirtschaftlich."

Derweil ist in den Medien und in der Architektenschaft eine hitzige Diskussion entfacht. Karl Wurm, Obmann des Verbandes der gemeinnützigen Bauvereinigungen Österreichs (gbv), hatte in einem Gespräch mit dem Standard erklärt: "Ich bin der Meinung, dass gute Architektur auch ohne Sonderwünsche realisierbar und wertvoll ist." Gerade in Zeiten mit steigenden Baukosten müsse man als Bauträger versuchen, die Kosten zu reduzieren, "beispielsweise, indem man die Extrawünsche der Architekten einspart". Das Raunen der österreichischen Architekten war bis nach Wales zu hören.

Fakt ist: Der Wohnbau in Österreich ist so teuer wie nirgendwo sonst auf der Welt. "Wir haben einen sehr hohen Standard, und dazu stehen wir auch", sagt der Wiener Wohnbaustadtrat Michael Ludwig, "Sicherheit, Klimaschutz und Barrierefreiheit haben einfach ihren Preis." In vielen Ländern werde ohne nötige Sicherheitsmaßnahmen gebaut, ohne Rücksicht auf Nachhaltigkeit und ohne Miteinbeziehung behinderter und betagter Menschen. "Ich sehe keinen Widerspruch zwischen diesen Leistungen und innovativer Architektur", sagt Ludwig. "Eine der grundsätzlichen Fragen, mit denen sich Architekten in Zukunft auseinandersetzen müssen, lautet daher: Wie kann man unter diesen Bedingungen leistbaren Wohnraum schaffen?"

Die entscheidenden Worte fielen dann am Ende der Wohnbau-Biennale im Semper-Depot: "Die Ansprüche der Bewohner steigen, doch gleichzeitig muss das Wohnen leistbar bleiben", erklärt Wolfgang Förster vom Referat für Wohnbauforschung (MA 50). "Man muss sich endlich entscheiden, was man will, denn beides lässt sich im Rahmen der Kosten des geförderten Wohnbaus nicht vereinbaren: Komfort oder Experiment?"

Architektur und Politik sind nun vor eine neue Aufgabe gestellt. Es gilt, die Leistbarkeit des österreichischen Wohnbaus gegen den Einkauf architektonischer Innovation abzuwägen. Der große Vorteil der österreichischen Wohnbauförderung liegt in den moderaten Preisen, die sich auf den Mieter niederschlagen. Will man das aufs Spiel setzen? Womöglich sind architektonische Spitzenleistungen woanders besser aufgehoben als im geförderten Wohnbau. Womöglich ist ein solider Hügel mitunter beständiger als ein mühsam aufgeschütteter Berg. (Wojciech Czaja, ALBUM/DER STANDARD, 03.04./052008)